anzeiger 5/2022 – Papercuts – das große Zittern ums Papier

Die derzeitige Energie- und Rohstoffkrise macht Papier zum knappen Gut. Lange Lieferzeiten und Preise, die durch die Decke gehen, bringen Zeitungs- und Buchverlage unter Druck. Wie geht es weiter?

Text: Lisa Schöttel

Es war ein gut gewählter Zeitpunkt für den Streik der Gewerkschaft Paperworkers‘ Union in Finnland – Anfang Jänner begonnen, ist er jetzt nach vier Monaten endlich beendet: Die Papierindustrie steckt in der Krise. Rohstoffmangel und steigende Energiekosten lassen die Preise für Papier regelrecht explodieren. Mittlerweile kletterte der Durchschnittspreis einer Tonne Papier – für graphisches Papier, Verpackung und Spezial – auf knapp 1.000 Euro pro Tonne. Zum Vergleich: 2021 lag der Preis für eine Tonne Papier noch bei rund 600 Euro. Der Krieg in der Ukraine und die große Ungewissheit, ob es zu einem Gasembargo kommt, verschärfen die angespannte Situation noch weiter. Niemand weiß, wie es wirklich weiter geht.

Altpapier und Zellstoff sind Mangelware

Altpapier, Holz und Zellstoff sind notwendig, um graphisches Papier herzustellen. Der Prozess der Papiererzeugung ist sehr energieintensiv, da vor allem für das Trocknen des Papiers viel Wärme, die meist aus Biolauge oder Erdgas erzeugt wird, gebraucht wird. Dieses Gas beziehen österreichische Papierfabriken zu achtzig Prozent aus Russland.

Aber auch der schon seit vergangenem Herbst herrschende Rohstoffmangel treibt die Preise in die Höhe. Während der Coronakrise wurden erheblich weniger Werbeprospekte, Kataloge und Flyer gedruckt sowie Zeitungen verkauft. Dadurch reduzierte sich im Jahr 2020 eine Weile lang die Sammelmenge von Altpapier. In der Folge wurde Altpapier zum knappen Gut, und die Preise stiegen.

Der zweite wichtige Rohstoff für die Herstellung von Papier ist Zellstoff – chemisch aufgeweichte Holzfasern. Ein Zusammenbruch der Lieferketten in ganz Europa macht es zurzeit schwierig, Zellstoffe zu beschaffen. Zusätzlich sorgt ein Containermangel für erhöhte Preise am Markt. Auch sind die Ukraine und Russland wichtige Lieferanten für Industrierundholz – rohes oder bearbeitetes Holz in runder, ungeteilter Form, das für die Herstellung von Zellstoff benötigt wird.

Die Papierfabriken müssen umrüsten

Ein weiterer Grund für die Preissteigerungen ist ein Rückgang bei der Nachfrage nach Printmedien, der schon seit fast zwanzig Jahren abzeichnet. Laut einem Bericht von Austropapier wurden 2005 in Europa noch vierzig Millionen Tonnen graphisches Papier produziert, mittlerweile sind es unter zwanzig Millionen.

Durch die Coronakrise erhielt die Digitalisierung einen weiteren Schub, vieles wurde in den Onlinebereich ausgelagert. Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Verpackungsmaterial jährlich um zwischen zwei und fünf Prozent.

Das hatte zur Folge, dass unter anderem die Papierfabrik von Norske Skog in Bruck an der Mur eine Papiermaschine für die Herstellung von Zeitungspapier auf Verpackungspapier umrüstete. Ähnliches geschah in der Papierfabrik Heinzel Paper in Laakirchen, die auf ihren Papiermaschinen die Herstellung von Magazinpapier zugunsten von Verpackungspapier reduzierte.

Damit bleibt mit UPM Kymmene in Steyrermühl ein einziger Erzeuger von Zeitungspapier in Österreich übrig. Ein Trend, der sich in ganz Europa abzeichnet: Mit August 2020 wurden etwa in ganz Skandinavien acht von 19 Papierfabriken entweder kurzfristig oder dauerhaft geschlossen.

 

Der längste Streik der Papierindustrie

Rohstoffmangel, unterbrochene Lieferketten, hohe Energiekosten: Es scheint, als hätten die Arbeitenden in den finnischen UPM Papierfabriken keinen besseren Zeitpunkt für einen Streik wählen können. Er wurde zum längsten Streik der Papierindustrie in der Geschichte Finnlands: 112 Dauer, 180 bis 220 Millionen Kosten.

Mittlerweile wurde der Streik beendet, die Arbeitenden sind an ihre Arbeitsplätzen zurückgekehrt. „Das bringt eine leichte Entspannung, vor allem für Magazine und Prospekte, deren Papier dort hergestellt werden“, sagt Markus Mair, Vorstand des Verbands der Österreichischen Zeitungen (VÖZ) und CEO der Styria Media Group. Auf das Zeitungspapier habe das Ende des Streiks auch indirekt Einfluss, indem Kapazitäten am Markt wieder frei würden.

Den Großteil ihres Papiers beziehen die Zeitungen der Styria Media Group regional aus Österreich und zu einem geringen Teil aus Belgien. Bedingt durch die Umstellung von Norske in Bruck an der Mur müsse man aber bald mehr Papier aus dem Ausland einkaufen. In Zukunft wird es auch Lieferungen aus dem Elsass geben, erklärt Mair.

Die Branche fährt auf Sicht

Bei der Jahreskonferenz der Papierindustrie betont deren Präsident Kurt Maier zwar den wirtschaftlichen Aufschwung und den allgemeinen Anstieg der Papiergesamtproduktion, gedämpft werden diese aber durch die hohen Kosten bei Rohstoffen und Energie. Zwanzig Prozent der Kosten einer Papierfabrik entfallen auf die Energie. Kosten, die an die Kund:innen weitergegeben werden: Zeitungsverlage, Druckereien und Buchverlage.

Mittlerweile spricht die Europäische Vereinigung der Druckprodukte INTERGRAF von einer europaweiten Steigerung der Papierkosten um ca. 45 Prozent, bei den Zeitungen seien es bis zu achtzig Prozent. Siegmar Schlager, Geschäftsführer des Falter-Verlags, spricht sogar von einer Preissteigerung von bis zu hundert Prozent, da die Druckkosten, ein ebenfalls sehr energieintensiver Prozess, auch an die Verlage weitergegeben werden.

Weitere Erhöhungen seien nicht absehbar. Zudem komme es zu Lieferengpässen. Schlager: „Wenn sich Bücher besser verkaufen als erwartet, können diese nicht so schnell nachgeliefert werden.“ Auch Claudia Romeder vom Residenz Verlag bestätigt: „Für den Nachdruck rechnen wir derzeit mit Lieferfristen von ein bis zwei Monaten.“ Bei Novitäten könne man besser planen. „Wir sind hier aufgrund der derzeitigen Situation achtsamer und versuchen unsere Planungen den Druckereien so früh wie möglich zu kommunizieren“, erklärt Romeder. Allgemein sei die Situation angespannt. In allen Branchen fährt man deshalb „auf Sicht“.

Kommt es zur Preisexplosion?

Im Falter-Verlag versucht man, den hohen Papierpreisen durch eine Reduktion der Umfänge und mit einer minimalen Preiserhöhung gegenzusteuern. Fraglich sei aber, so Schlager, wie lange die Lesenden bereit seien, höhere Preise zu zahlen. Auch Markus Mair betont: „Da gibt es eine Schmerzgrenze auf beiden Seiten, die noch nicht erreicht wurde, weil wir in unseren Papierlagern gut vorgesorgt haben.“

Eine Preisexplosion, wie sie von Wagenbach-Verlegerin Susanne Schüssler in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur vorausgesagt wird, sieht Verlegerin Claudia Romeder derzeit nicht: „Im Verlagsbereich haben wir im Schnitt eine Preiserhöhung von zwanzig Prozent – abhängig davon, welche Art von Papier wir brauchen. Doch der weitere Verlauf der politischen Situation bedingt auch den weiteren Verlauf der Papierkrise.“

Auch im Buchverlag sei man gezwungen, mit dieser Preissteigerung umzugehen und die Buchpreise moderat zu erhöhen. „Aber man muss sich ansehen, wie viel der Markt verträgt“, sagt Romeder. „Die Gesamtinflation ist natürlich ein Problem. Es wird alles teurer, aber die Löhne steigen nicht – da geht Kaufkraft verloren.“

Weiterhin ein überlegtes Programm gewährleisten

Susanne Schüssler vom Wagenbach Verlag spricht von klaren Konsequenzen der hohen Produktionskosten: Bestimmte interessante, aber nicht so gut verkäufliche Titel würden zunehmend verschwinden, erklärt sie in einem Interview.

Für Claudia Romeder vom Residenz Verlag ist das keine Option. „Unser Programm ist immer überlegt“, erklärt sie dazu. Auch in puncto Buchbindung gehe man keine Kompromisse ein. Romeder: „Ich bin überzeugt davon, dass, wenn man das Geld in die Hand nimmt und sich ein Buch kauft, es auch eine dem Preis angemessene Qualität haben sollte.“

Der Berliner Reprodukt Verlag hat aufgrund der gestiegenen Papierpreise und um das Herbstprogramm zu sichern, einen neuen Weg gewählt, und per Crowdfunding um Unterstützung gebeten. Dabei sind jetzt schon mehr als 72.000 Euro zusammengenommen – die Zielvorgabe von 30.000 Euro wurde bereits nach zwei Tagen erreicht.

Keine Kristallkugel für die Preisentwicklung

Kreativität ist gefragt. Denn mit welchen Gewinn- und Verlustzahlen zu rechnen ist, weiß bisher niemand so genau. VÖZ-Vorstand Mair rechnet mit rund fünfzig Millionen Euro an Mehrkosten für die Zeitungsbranche, betont aber, dass „in dieser Frage niemand eine Kristallkugel habe.“

Man kann sich lediglich die bisherigen Entwicklungen ansehen: Laut EUWID-low – dem unabhängigen Fachmedienanbieter für die Papier- und Zellstoffindustrie – lagen etwa die Märzpreise pro Tonne Zeitungsdruckpapier bei knapp 700 bis 1000 Euro. Mair: „Grundsätzlich sind die Rohstoffpreise zwar stabil, aber auf einem hohen Niveau. Und die Nachfrage ist nach wie vor höher als das Angebot.“

Auch im Verlagsbereich ist die Marge noch schwer abzuschätzen. Claudia Romeder: „Wir befinden uns derzeit in einer rasanten Entwicklung, die möglicherweise auch gestoppt wird. Aber wie weit die Produktionskosten noch steigen, kann niemand abschätzen.“

Ist die Senkung der Mehrwertsteuer eine Option?

Während der Coronakrise wurden die Print- und Zeitungsmedien durch die Senkung der Mehrwertsteuer von zehn auf fünf Prozent stark entlastet. Siegmar Schlager betont, dass man auch in der Papierkrise mit einer Senkung bzw. Aussetzung verhindern könne, dass die Preise von Zeitungen und Büchern weiter steigen.

Der Mehrwertsteuersatz für Bücher und Printmedien ist in Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hoch: In Italien und Spanien sind es vier Prozent für Bücher und Zeitungen, in Frankreich fünf Prozent auf Bücher – bei Zeitungsmedien sogar nur 2,1 Prozent. Auch von Seiten des Verbandes Österreichischer Zeitungen gibt es eine klare Vorstellung zur Mehrwertsteuersenkung in Richtung Senkung bzw. dauerhafte Aussetzung. Mair: „Wir haben von der Politik noch keine finale Antwort darauf erhalten – bleiben aber dran.“

Die Krise ist auch ein Weckruf

„Natürlich sind wir derzeit in einer recht angespannten Situation, was die Versorgung der Industrie mit Papier angeht“, erklärt Markus Mair. Dies erfordere resilientes Management – für die Medienbranche generell kein Novum.

„Im Grunde befindet sich diese seit der Erfindung des Internets in großem Wandel. Wir haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten enorme Flexibilität bewiesen – das gibt Mut auf dem Weg in die Zukunft.“ Ob die Digitalisierung durch die Papierkrise möglicherweise noch einen weiteren Schub bekommt, kann er noch nicht abschätzen.

Für Claudia Romeder ist klar: „Das gedruckte Buch bleibt – wir haben die Entwicklungen mit dem E-Book in den letzten Jahren beobachtet, und der Umstieg auf digital hat nicht stattgefunden.“ Aber sollte es zu einem Totalausfall kommen, wird man trotzdem umsteigen müssen. Laut Austropapier würden im Falle eines Gasembargos innerhalb von zwei Wochen alle Papierfabriken stillstehen.

Der Geschäftsführer der Styria Media Group Markus Mair hat vorgesorgt: „Die Papierlager sind gut gefüllt – derzeit ist mit keinem direkten Versorgungsengpass zu rechnen“, erklärt er. Trotzdem müsse man sich die Entwicklungen der nächsten Zeit genau ansehen und „verantwortungsvoll agieren – für die Kund:innen, aber auch für die Mitarbeiter:innen.“

(c) Georg Feierfeil
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