anzeiger 9/23 – Mit KI mehr Bücher verkaufen

Die großen Sprachmodelle wie ChatGPT werden keine literarischen Genies hervorbringen, aber die Buchbranche gründlich verändern. Es geht darum, die Möglichkeiten der KI zu erlernen, um sie zum Nutzen des eigenen Geschäfts anwenden zu können.

Text: Katharina Zangerl.

ChatGPT, Bard oder Midjourney beeindrucken und verunsichern. Ihr niederschwelliger Zugang zu künstlicher Intelligenz (KI) sorgt für enorme Aufmerksamkeit. Einige feiern die ultimative Digitalisierung, andere fürchten um die Arbeitsplätze. Auch in der Buchbranche.

Fachbücher als erste ­Anwendungsbereiche von KI

KI in der Buchbranche ist nicht neu. Es gibt bereits Anwendungen in der Wertschöpfungskette: etwa zur Optimierung der Produktionsprozesse oder Vertriebs- und Empfehlungssysteme, die Leser:innen und Bücher zusammenbringen. Neu ist das Aufkommen von großen Sprachmodellen wie ChatGPT, Bard oder Midjourney. Sie bieten das Potenzial zur grundlegenden Transformation der Art, wie Bücher geschrieben, übersetzt und ausgewählt werden.

Große Sprachmodelle (LLMs) sind eine Form künstlicher Intelligenz, die menschenähnliches Textverständnis und -generierung ermöglicht. Die Funktionsweise von LLMs beruht auf einem enormen Trainingsprozess, bei dem Mengen an Text analysiert werden, um linguistische Muster, grammatikalische Strukturen und semantische Zusammenhänge zu erlernen.

Christoph Bläsi von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz forscht im Bereich Buchwissenschaft und setzt sich mit LLMs auseinander. „Systeme, die vorher zur Anwendung gekommen sind, waren meist auf eine Aufgabe spezialisierte, individuelle Systeme.“ Diese Systeme würden jetzt durch LLMs ersetzt, „weil sie einfacher zu handhaben sind und mehrere Aufgabenbereiche gleichzeitig abdecken.“

Wer bereits mit LLMs gearbeitet hat, weiß, dass damit schnell und effizient Texte produziert werden können. Allerdings bringen LLMs nicht in jedem Textgenre die gleiche Leistung. Sie glänzen bei informationsbasierten Aufgaben wie Produktbeschreibungen oder Anleitungen. Deshalb wurden sie bislang besonders im Fachbuchbereich eingesetzt. Bereits 2019 produzierte der deutsche Springer Nature Verlag ein Fachbuch mit Hilfe von KI, das den damaligen Forschungsstand zum Thema Lithium-Ionen-Batterien zusammenfasste. 

Arbeiten mit ChatGPT geht nur bis zu einem gewissen Punkt

KI kann technische Sprache und Zusammenfassungen generieren, sie kann schnell Texte analysieren. Das bestätigt Henning Schönenberger von der Springer Nature Group. Der Verlag hat bereits mehrere Bücher mit Hilfe von KI erstellt und verlegt. Schönenberger erklärt die Rolle von KI im Fachbuchbereich: „Sie hat das Potenzial, den Fortschritt der Forschung weiter zu beschleunigen.“

Der Verlag testet jetzt auch die Erstellung von neuen Inhalten, also von Fachbüchern abseits von Zusammenfassungen. Schönenberger beschreibt den Prozess dazu so: „Wir wollen erkunden, inwieweit wir generative KI für die Erstellung neuer Texte einsetzen können.“ Es würde Autor:innen helfen, beim Schreiben ihres Manuskripts Zeit zu sparen, und „ihr Wissen würde damit schneller verfügbar sein.“ Der Test fand im Rahmen eines Hackdays im März 2023 statt, das Ergebnis soll ein Wirtschaftsbuch werden, das mit Hilfe von ChatGPT erstellt wird.

An diesem Projekt ist auch Christoph Bläsi beteiligt. Er bezeichnet den Einsatz von ChatGPT als „Brainstorming-Buddy“: „Wir haben ChatGPT zunächst gebeten, ein Inhaltsverzeichnis zu erstellen, und danach durch Nachbesserungen versucht, etwas zu erreichen, was unseren Vorstellungen entsprach. Die Herausforderung besteht darin zu erkennen, dass solche Systeme ihre Antworten danach generieren, ob sie sinnvoll klingen. Das heißt aber explizit nicht, dass sie stimmen müssen.“ Daher warnt der Buchwissenschaftler: „Das Arbeiten mit ChatGPT kann man also nur bis zu einem gewissen Punkt treiben, ab einer gewissen Stelle muss man selbst recherchieren und nachprüfen, ob Aussagen wirklich stimmen.“

Auch in der Genreliteratur sollen LLMs zum Einsatz kommen. Denn KI ist gut da­rin, Texte zu generieren, die Konventionen entsprechen. Über Trainingsdaten können LLMs Charaktere, Handlungsstränge und Settings erstellen, die typisch für bestimmte Genres sind. Bläsi sieht noch nicht, dass ChatGPT mit Autor:innen wie James Joyce oder Jane Austen mithalten könnte, nennt aber eine Gefahr für Genreliteratur: „Wenn man die flachsten Exponenten der Romance-Literatur zur Hand nimmt, wird man relativ schnell herausfinden, dass Ergebnisse von ChatGPT diesen relativ ähnlich sein können. Es ist klar, dass genau diese Genres am stärksten unter Druck sind.“ ChatGPT wird kein zweiter James Joyce, aber in der Genreliteratur kommt es zum Einsatz, womit auch das Risiko einer Überproduktion steigt. Denn die Geschwindigkeit, mit der KI Inhalte generiert, und ihre Menge könnten den Markt übersättigen. KI-erzeugte Texte ähneln sich zwangsläufig in Stil und Substanz. Das birgt die Gefahr, dass Romane vorhersehbar werden und ihre Leser:innen dann langweilen.

Eine solche Überproduktion von immer gleichen Texten kann aber auch dazu führen, dass sich Leser:innen vermehrt nach hochwertigen und originellen Werken sehnen. Verlagen rät Bläsi, sich auf besondere Literatur zu stützen. In Zukunft werde die Verlagsbranche vor der Herausforderung stehen, die richtige Balance zwischen KI und menschlicher Kreativität zu finden. „Wichtig ist es für Verlage, zu verstehen, welchen Mehrwert es hat, Bücher zu verlegen, die eine KI eben nicht erstellen kann und das auch deutlich zu machen.“ Man müsse weg vom „More of the same“ und etwas völlig Neues probieren. Das sei die Top-Level-Strategie für anspruchsvolle Verlage.

Kann die Maschine Literatur effizient übersetzen?

Übersetzungsprogramme mit KI wie DeepL versprechen eine effiziente Lösung. Allerdings nicht bei literarischen Werken, meint Waltraud Kolb. Sie forscht am Institut für Translationswissenschaften der Universität Wien und beschäftigt sich insbesondere mit Maschinenübersetzungen. Diese seien in der Lage, schnell Standardsprache zu produzieren, würden aber an der Übertragung von ­literarischen Werken oft scheitern. „Wenn der Wunsch lediglich darin besteht, dass ein Text grammatikalisch korrekt ist, kann KI zum Teil helfen. Aber eine qualitativ hochwertige Übersetzung liefern die Systeme noch nicht. Sie übersetzen zu oft wörtlich und greifen zur naheliegendsten Lösung. Die ist jedoch in den meisten Fällen nicht die ­stilistisch beste Lösung.“

KI-Systeme werden bereits bei der Übersetzung von literarischen Werken eingesetzt. Sie bringen jedoch nicht jene Zeitersparnis und Effizienzsteigerung, die man sich davon erhofft hat. Denn noch sind sie nicht in der Lage, sprachliche Feinheiten, den künstlerischen Ausdruck und den kulturellen Kontext zu erfassen. Dadurch wird die Rolle für Übersetzer:innen im Post-Editing wichtiger, also dem Überarbeiten von bereits maschinenübersetzten Texten.

Allerdings ist Post-Editing von KI-generierten Texten nicht unbedingt einfach, sagt Kolb. Denn Übersetzer:innen müssten erhebliche Ressourcen aufwenden, um KI-generierte Texte zu überarbeiten und an die literarischen Anforderungen anzupassen. In der Praxis bedeutet dies, dass die erhoffte Zeitersparnis durch KI-Übersetzungen oft zunichtegemacht wird.

Eine weitere Hürde sieht die Translationswissenschaftlerin im Qualitätsunterschied der Sprachen. KI lernt aus Trainingsdaten. Das bedeutet auch, dass Programme in jenen Sprachen am besten funktionieren, in denen die meisten Trainingsdaten verfügbar sind – und das ist hauptsächlich Englisch. „KI übersetzt nicht alle Sprachen gleich gut. Je weniger verbreitet eine Sprache ist, desto weniger Trainingsdaten stehen den Maschinen zur Verfügung, und desto schlechter sind auch ihre Übersetzungen.“ Dies führe zu einer Ungleichheit in der Übersetzungsqualität und kann die Veröffentlichung und Verbreitung von Literatur in manchen Sprachen behindern.

Für Autor:innen erhöhen die Maschinenübersetzungen das Potenzial einer Veröffentlichung. Über diese Technologie haben sie die Möglichkeit, ihre Manuskripte an fremdsprachige Verlage zu senden, ohne vorher in die Übersetzung investieren zu müssen. Auch wenn diese qualitativ ungenügend ausfallen, kann sich der Verlag einen ersten Eindruck vom Text verschaffen. Damit erleichtert KI den Zugang der Autor:innen zu Verlagen im Ausland. Bei der Übersetzung für die Veröffentlichung braucht man dann dennoch die Expertise von Übersetzer:innen, um die Qualität der Texte sicherzustellen.

KI als Marktbeobachterin und zur Prognose

KI verlangt von Verleger:innen Lernwilligkeit: Sie müssen lernen, wie sie sich KI-Systeme zunutze machen können. Gerade auch um Bücher verlegen zu können, die keine KI generieren kann. Christoph Wolf-Brenner vom Know-Center berät Unternehmen bei der sinnvollen Nutzung von KI. Er hebt die Notwendigkeit hervor, die Systeme passgenau zu verwenden. „Der Einsatz von KI-Systemen sollte immer auf eine klare Problemstellung ausgerichtet sein. Bevor man auf KI zurückgreift, ist es wichtig, lösbare, aber vor allem lösenswerte Probleme zu identifizieren.“ Auch im Verlagsbereich.

Gerade in der Auswahl von Manuskripten erkennt Wolf-Brenner einen wichtigen Anwendungsbereich von KI. „Im Vertriebsbereich ist KI bereits gängige Praxis. Empfehlungssysteme werden dort schon seit geraumer Zeit verwendet.“ Neu sind nun die großen Sprachmodelle. Sie können viel Text verarbeiten und damit auch bei der Manuskriptauswahl eingesetzt werden. LLMs können Texte schnell auf bestimmte Parameter absuchen. Für Verlage, die sich ein bestimmtes Programm erarbeiten wollen, stellt das einen erheblichen Effizienzvorteil dar.

Die Anwendung von KI ermöglicht Verlagen auch einzuschätzen, welche Inhalte von Leser:innen bevorzugt werden. „Wenn Autor:innen Ideen oder Textvorschläge für Veröffentlichungen zur Verfügung stellen, kann eine KI deren Marktchancen abschätzen.“ Zur Programmerstellung werde KI sehr wahrscheinlich eingesetzt, meint der Experte. „KI kann durch Datenanalyse die Marktchancen von bestimmten Büchern benennen. Zu auf Statistik und Daten basierenden Prognosen ist KI fähig.“

Die großen Sprachmodelle haben für die Buchbranche transformative Effekte. Geschwindigkeit und Quantität der Inhaltsproduktion steigen. Damit geht die Gefahr des Qualitätsverlusts und der Homogenisierung einher. Verlage müssen sich die Frage stellen, welche Möglichkeiten der KI sie für ihr Geschäft nützen, um zwischen Spezialisierung und Geschwindigkeit die Balance finden zu können.

anzeiger essenziell 9 23
(c) Georg Feierfeil
Werbung
WdB Posting 2