Über die 1930 gegründete und 2022 geschlossene Buchhandlung in Döbling.
Von Georg Fritsch, eingetreten 1964, Eigentümer 1975-2021.
… nur im Auto und auf der Fahrt bin ich glücklich… (Thomas Bernhard, Wittgensteins Neffe)
Nach dem Mittagessen in der Stadt, im Weinhaus Deutsch in der Naglergasse, bei Koranda oder Obenaus (später eine zeitlang gepachtet vom kleinen Bossanyi, dessen Vater dem Plankreis angehört hat, dann Immervoll etc.) gelegentlich mit meinem Vater, der Thomas Bernhard seit 1954 tatsächlich überzeugt nach Kräften unterstützt hat, sind Bernhard und ich 1964 in seinem eben gekauften, Triumph Herald Roadster aus der Stadt nach Döbling gebrettert. Er hatte in diesem Jahr, noch vor dem Bremer Literaturpreis, den von Hoffmann & Campe gestifteten Julius Campe Preis erhalten (mit Gisela Elsner und Hubert Fichte zusammen die letzten Preisträger, ehe er 40 Jahre lang nicht mehr vergeben wurde) und die Prämie sogleich in den kleinen Flitzer investiert. Elsner wie Fichte hatten Wiener Anteile zu bieten: sie hat hier studiert und er hat zur damals noch attraktiven Entourage von Ernst Fuchs gehört. Bei Hoffmann & Campe, der Preis war nach dem Verlagsgründer und im Zusammenhang mit Heinrich Heine gestiftet worden, ist Erika Schmidt beschäftigt gewesen, die wenig später Wieland Schmied geheiratet hat, der zum Erscheinen des ‚Frost‘ bei Insel beigetragen hatte. Schmied war auch Redakteur der Studentenzeitschrift ‚Morgen‘ gewesen, die eine Rubrik ‚Junge Köpfe‘ unterhielt, in der 1957 Thomas Bernhard als ein solcher Kopf reichlich rabiat gegen die Avantgardekitschisten aus dem Hawelka gewettert hat.
Im Triumph gen Döbling hat Bernhard Arien geschmettert und so die kleine Kabine in Schwingungen versetzt, die einen das Ziel, die Buchhandlung Dr. Goldschmidt, herbeisehnen ließen. Gegenüber befand sich das Casino Zögernitz, bestehend aus dem Hotel, dem Kaffeehaus, einem Gastgarten und dahinter dem Ballsaal, getäfelt mit Eierkartons zum Aufnahmestudio von Telefunken Decca umgemodelt, für Nikolaus Harnoncourt und Konsorten. Der Komponist Peter Zwetkoff, den Bernhard bei den Innsbrucker Jugendkulturwochen kennengelernt hatte, gehörte mit seiner Frau Renate zum frühen Anhängerkreis, lange ehe sich Hilde Spiel eingemischt hat (sie wohnte nach ihrer Rückkehr aus London zuerst in der Wohnung von Elisabeth Viertel in der Zedlitzgasse, geschieden von Siegfried Bernfeld, verwitwet nach Berthold Viertel) am anderen Ende des Gemeindebaublocks in der Cottagegasse, wo Zwetkoff zuhause war, 10 Minuten entfernt von der kleinen Wohnung seines Lebensmenschen, der Tante, die Bernhard ihr Kabinett freigemacht hatte. Alle genannten Adressen befinden sich in ‚Döbling‘, suggerieren ‚Cottage‘, sind aber weit entfernt von Milieu und Wohnverhältnissen, die man damit verbinden mag. Im Casino Zögernitz hat Bernhard 1962 ganze Passagen des ‚Frost‘ verfasst, umgearbeitet von einem langen Gedicht in seinen ersten Roman. Hilde Spiel haben wir mit der Übernahme ihrer Rezensions- und Widmungsexemplare die Buchhandlung Heidrich ersetzt (der frisst mir aus der Hand). Sie war vor ihrer Beziehung mit Julian Schutting mit Katharina Beer befreundet, deren Mutter Buchhändlerin war; im mexikanischen Exil ist sie Anna Seghers nahegestanden, ihr Vater, Josef Foscht, war ein bedeutender Widerstandskämpfer.
Oberhalb der Buchhandlung, Ecke Pyrkergasse, gegenüber der Pokornygasse, befand sich die WÖK, ein Schauplatz in Bernhards Erzählung ‚Die Billigesser‘ (in der Pokornygasse hatte lang vor der Gründung unserer Buchhandlung, für kurze Zeit Alma Mahler gewohnt, Kokoschkas Atelier befand sich in der Hardtgasse, wo ich in Untermiete untergerbracht war). Die Buchhandlung wird in den ‚Billigessern‘ dorthin verlegt und dessen authentischem Personal dort regelmäßig verkehrender Geistesmenschen, darunter mein Chef Hans Eberhard Goldschmidt, muss Melanie Schuster-Schiele hinzugefügt werden, die ältere Schwester des Künstlers, dem wir zu seinem 50. Todestag eine Auslage gewidmet haben, in der verschiedene Briefe, sein Partezettel, Bücher und Zeichnungen zu sehen waren. Die Schwester war 1965 entzückt gewesen, als sie bei uns den Katalog der Galerie St. Etienne von Otto Kallir gesehen hat, der Aquarelle von Schiele aus amerikanischen Sammlungen enthielt hat: jetzt hat’s der Egon bis nach New York geschafft.
So war es auch ein weiter Weg von Bleiburg in den Weltraum, den Kiki Kogelnik zurückgelegt hat. Sie hat mir zur Wiedereröffnung der Buchhandlung 1975 ein schönes Blatt von Arnulf Rainer aus dem Jahr 1951 geliehen. Ihre Anregung bei der Renovierung, die ich mit Patricio Adamek, dem Sohn von H.C. Artmann durchgeführt habe, sind wertvoll gewesen. Sie hatte gerade die Einrichtung des Restaurants Elephant & Castle in New York hinter sich. Der Fotograf Ernst Haas war ihr Nachbar ebendort und wir haben in Wien seinen Bruder in der Pyrkergasse besucht. Lisa Appignanesi, eine Jugendfreundin von Leonhard Cohen, hat 1969 einige Zeit in Wien verbracht, um sich in der Stadt von Sigmund Freud zu orientieren. Sie ist mittlerweile Schriftstellerin, war Präsidentin des englischen PEN und hat wertvolle Schriften zur Geschichte der Psychoanalyse verfasst.
Barbara Frischmuth war die erste Kundin, die Dr. Goldschmidt außerhalb seines Freundeskreises gelten ließ: sie hat 1970 Arno Schmidt, Zettel‘s Traum subskribiert. Vor Erscheinen ist sein Verleger Ernst Krawehl angereist, um wortreich und mit einem Sonderprospekt dieses Werk vorzustellen, wir sind wohl von Otto Breicha empfohlen worden. Für Dr. Goldschmidt war es reine Schmockerei, so ein Trumm auf die Welt loszulassen. An meinem Verstand hat er selbstverständlich auch gezweifelt. Barbara Frischmuth war damals immerhin schon Autorin des Suhrkamp Verlags, wenn ihm auch ihre damalige Verbindung mit dem Pferdesport suspekt war.
Meine spätere Nähe zu Hans Wollschläger war hier noch nicht maßgebend gewesen. Dieser ehemalige Angestellte des Karl May Verlags und frühreife Korrespondenzpartner Schmidts wie auch Theodor W. Adornos, hat seine nicht unbeträchtlichen Geistesgaben auf Spielbanksysteme und Verlagsverträge ausgedehnt und ist so mit seinen Herzgewächsen nicht weitergekommen. Aus seinen Beständen finden sich mittlerweile aus der Sammlung unseres alten Kunden Heinz Neumann Bietigheim, Zimelien im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Wollschläger war im Nebenberuf Stellvertreter von Gustav Mahler auf Erden und ist in dieser Eigenschaft mit Hertha Blaukopf, geb. Singer, aneinandergeraten, die die Mahlergesellschaft repräsentiert hat. Sie war 1948 Kollegin meines Vaters in der Redaktion des ‚Abend‘ von Bruno Frei auf dem Fleischmarkt.
Hans Eberhard Goldschmidt (1908-1984) hat sich, nach dem Einsatz für den Schönbrunn Verlag, 1956 vom Globus Konzern gelöst, und hat mit einem Darlehen von Paul Löw-Beer aus der Tugendhatfamilie in Brünn, die Buchhandlung Steinbach übernommen, die vor dem Krieg von Erna (Ernestine) Steinbach und ihrer unverheirateten Schwester Christiana Glowacki gegenüber im Elternhaus von Hedy Lamarr gegründet worden war. Die beiden Damen hatten sich nach Teneriffa zurückgezogen. Ihr Enkel, Michael Steinbach, ist derzeit Präsident des Verbandes der Antiquare Österreichs, mit Erhard Löcker, Franz Stein (Manz), Wolfdietrich Hassfurther u.a. hat er mit mir die Buchhändlerschule in der Märzstraße besucht. Goldschmidt hatte Mira Lobe als Verleger kennengelernt und stand ihr nach dem Tod ihres Mannes 1958 in jeder Hinsicht zur Seite. Nach Kräften hat sie uns in der Buchhandlung im Weihnachts- und Schulbuchgeschäft unterstützt. Ihr Einsatz war so umfassend und intensiv, dass gelegentlich eingeschritten werden musste, weil wir sonst heute noch hinter der Budel stehen würden. Da wir bis dato alles im Kopf addiert hatten, waren wir über das Geschenk einer mechanischen Rechenmaschine, mit der jede Stelle am richtigen Ort angetippt werden musste, plötzlich in der Zukunft angekommen.
Bei meinem Eintritt wurde die Auslage von Pappkartons gebildet, um die ein Schutzumschlag gelegt und mit Gummiringerln fixiert war, die im Sommer zwei Tage nicht überlebt haben. Die Auslagen waren verstaubt, die Gummiringerln gerissen und der Eindruck von einer aufgelassenen Buchhandlung in Sibirien nicht abwegig (auch andere Buchhandlungen haben so ausgeschaut, fast alle Leihbüchereien). Goldschmidt und sein alter Freundeskreis aus der kommunistischen Jugend (Elisabeth Schilder, Genia Quittner, Gundel Herrnstadt-Steinmetz, Hugo Ebner, Ruth Tassoni, Bruno Frei, Gerda Freistadt, Peter Milford, der Sohn von Rudolf Hilferding u.a.), waren mit der Moderne wie sie Hundertwasser repräsentiert hat, gut bedient, Hermann Nitsch, Günter Brus u.a. waren nicht satisfaktionsfähig. Brus war damals als Bote in der Auslieferung von Prachner in der Kärntner Straße angestellt. Er hat sofort nach der Aktion 1968 im Neuen Institutsgebäude seinen Job verloren, wie auch Kurt Kren in der Nationalbank. Wir waren, wahrscheinlich neben Brigitte Hermann die einzige Buchhandlung, die das Schwarze Wienbuch (Weibel/Export 1970) geführt hat, wenn auch unter der Budel – gemeinsam mit unzüchtigen Schriften importiert über die Schweiz aus Holland, Wiener Tradition seit C.W. Stern und Richard Lányi. Im Windfang der Buchhandlung war seit 1975 das Plakat von Valie Export, Aktionshose: Genitalpanik zu sehen. Wie jeder weiß, hat die Künstlerin 1969 ihre Hose im Schritt ausgeschnitten, um den Blick freizugeben und sich mit MP auf eine Bank gesetzt und von Josef Tandl fotografieren lassen. Niemand hat sich daran gestört, die Klosterschwestern von Maria Regina sind bei uns aus und ein gegangen, ohne Anstoß zu nehmen. Wenig später habe ich ein Plakat von Urs Lüthi in die Auslage gehängt, von der Kunsthalle Basel 1976, wo er schlaff sitzt, einen Pokal auf dem Schoß: das hat die Döblinger erregt, mit dem wohlgesetzten, immer wieder geübten Urteil: geschmacklos. Von Dominik Steiger haben wir 1977 ‚31 Lieder‘ verlegt, eine Musikkassette in 31 Exemplaren.
1967 habe ich Elias Canetti, der mich in der Buchhandlung abgeholt hatte, auf die Hohe Warte begleitet, auf deren Gipfel sich die Villa Ast befindet, die einstmals Alma Mahler und Franz Werfel gemeinsam bewohnt haben. Canetti wurde von dieser Adresse angezogen, behende schritt er aus und schilderte dabei das verworfene Leben der Hausfrau und seine Beziehung zu Stefan Zweig, dessen Einsatz Canetti die Publikation der ‚Blendung‘ zu verdanken hatte. Zweig habe zu Hause vor Canetti Schätze seiner Autographensammlung ausgebreitet, wobei ihm nach jedem Stück deutlicher vor Augen getreten sei, um welch erbärmlichen Wicht es sich bei diesem berühmten Dichter doch handle, der stumme Zeugen antreten lasse, eigene Größe zu vermitteln. Als innigst geliebtes Dokument nehme Zweig in Zeiten der Trauer den Brief Napoleon I. zu Hand, den dieser an Marie Louise, Erzherzogin von Österreich, gerichtet und als Höhepunkt des Schreibens mit einer Spur des kaiserlichen Samens versehen habe.
Die Empörung Canettis über diesen Akt der doppelten Impotenz von Schreiber und Sammler war so groß, dass ich, davon erschüttert, das Angebot, mir Widmungen in seine Buchgeschenke zu schreiben, nicht annehmen wollte.
Aus dem 19. Jahrhundert sind Figuren hereingeweht, die, abgesehen vom melancholischen Schaukelpferd Felix Braun, tatsächlich die Verkörperung von Erscheinungen waren, die heute nicht einmal mehr vorstellbar sind: die Großmutter von Romy Schneider, Rosa Albach-Retty (1890 erstmals auf der Bühne, ihr Sohn Wolf Albach ein SS-Schlieferl) und die erste Botschafterin Österreichs in Norwegen, die Kinderbuchsammlerin Johanna Monschein. Beide trippelnd vornehm und in Begleitung, hohe Frisur, Lorgnon, höchstes Flöten, Goldschmidt ist flachgelegen, ich hab mich gefürchtet.
Bernhard Steiner ist 1980 als Lehrling in die Buchhandlung eingetreten. Er hat seither und später in der Schönlaterngasse das Antiquariat mit aufgebaut. Die Schilderungen von Leon Askin, Traudl Bayer, Christa Hauer, Franz Glück, Arminio Rothstein, Klausjürgen Wussow, den Mira Lobe toll fand, Hans Winge, Samy Molcho, Wolfgang Teuschl, Ernst Beer, Walter Slezak, Oswald Oberhuber, Patricia Kahane, Otto Schulmeister, Ilse Leitenberger, Horst Christoph, Hans Haider, Reinhard Priessnitz, Julian Schutting, Miryam Charim, Fritz und Otto Molden, Franz West, Hansjörg Krug, Doris Brehm, Jörg Demus, Thomas Kakuska, Ilse Helbich, Rudolf Bretschneider, Michael Leodolter, Leomare Qualtinger, Kurt und Thomas Rothschild,, Ulrich Weinzierl, Kurt Kalb u.v.a. müssen vorerst unterbleiben. Meiner Frau Heidemarie, die seit 1981 in Döbling tätig war, haben sowohl die Buchhandlung wie auch ich unendlich viel zu verdanken, wenn nicht alles.
Diese Originalfassung unterscheidet sich von den im Spectrum der ‘Presse’ am 31.12.2022 erschienen Artikel ‘Im Flitzer mit Thomas Bernhard’.