ORF Bestenliste November

Im November steigt Daniel Kehlmann mit seinem Roman „Lichtspiel“ (Rowohlt) auf Platz 1 ein. Mit „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ (Luchterhand) kommt Terézia Mora auf Platz 2. Barbi Marković landet mit „Minihorror“ (Residenz) den dritten Platz.

Platz 1: Daniel Kehlmann „Lichtspiel“, Rowohlt

Wie hätten wir uns damals verhalten? Was können wir aus der Geschichte lernen? Wann trifft man die richtigen Entscheidungen? Warum die falschen? All diese Fragen verhandelt Daniel Kehlmann in seinem Roman „Lichtspiel“ anhand der Biografie von G.W. Pabst, dem großen Kinopionier und Meister des Stummfilms. Zu Beginn der 1930er Jahre ist Pabst, nach Filmen wie „Die Büchse der Pandora“ und der Brecht-Verfilmung „Die Dreigroschenoper“, längst ein großer Star des europäischen Kinos. Als die Nazis in Deutschland die Macht ergreifen, beschließt Pabst sein Glück in Hollywood zu versuchen – und scheitert. Während viele seiner Kollegen vor den Nazis Richtung USA fliehen, kommt der aus Böhmen stammende Österreicher in seine Heimat zurück, um seine kranke Mutter zu besuchen. Es ist das Jahr 1939, bald sind die Grenzen dicht und Europa ist im Krieg. Wie soll er nun weiter arbeiten? Es dauert nicht lange, bis das Propaganda-Ministerium vor der Türe steht. Im Spiel mit Fakt und Fiktion sucht Daniel Kehlmann Antworten auf die Frage, wie jemand wie G.W. Pabst, ein weltoffener Regisseur, dessen frühe Filme politisch klar im linken Spektrum verortet sind, unter dem NS-Regime Filme machen konnte.

Platz 2: Terézia Mora „Muna oder Die Hälfte des Lebens“, Luchterhand

Die 1971 in Sopron geborene Schriftstellerin und Übersetzerin Terézia Mora kann auf eine beachtliche Liste von Auszeichnungen zurückblicken, darunter der Ingeborg-Bachmann-Preis, der Deutsche Buchpreis und nicht zuletzt der Georg-Büchner-Preis, der ihr 2018 für ihr Gesamtwerk verliehen wurde. Im Begründungsschreiben der Jury war damals zu lesen: „In ihren Romanen und Erzählungen widmet sich Terézia Mora Außenseitern und Heimatlosen, prekären Existenzen und Menschen auf der Suche und trifft damit schmerzlich den Nerv unserer Zeit.“ Das trifft auch auf ihren neuen Roman „Muna oder die Hälfte des Lebens“ zu, der es abermals auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Die Handlung setzt im Jahr 1989 ein, in der DDR, unmittelbar vor dem Mauerfall. Die Abiturientin Muna verbringt eine Nacht mit dem Französischlehrer und Fotografen Magnus, doch im Wirbel der politischen Ereignisse verlieren sich die beiden sogleich wieder aus den Augen. Sieben Jahre später begegnen sich die beiden wieder und lassen sich schnell auf eine Beziehung ein, doch schon früh treten die ersten Probleme auf. Magnus ist oft unbeherrscht und begegnet Muna mit zunehmender Distanz und Gefühlskälte. Doch sie hält an der Beziehung fest, schluckt ihre verletzten Gefühle runter und redet sich ein, dass alles besser wird. Mit bedrückender Genauigkeit beschreibt Terézia Mora was es bedeutet, sein Leben in gänzlicher Abhängigkeit von einem anderen zu führen.

Platz 3: Barbi Marković „Minihorror“, Residenz

Die Schriftstellerin Barbi Marković hat ein gutes Jahr hinter sich. Gleich zwei Mal wurde sie heuer ausgezeichnet, mit dem Berliner Kunstpreis und dem Outstanding Artist Award des Bundesministeriums für Kunst und Kultur. Nach „Die verschissene Zeit“ ist „Minihorror“ der zweite Roman, den die in Belgrad aufgewachsene Schriftstellerin auf Deutsch geschrieben hat und der sich, wie der Vorgänger, durch einen unverkennbar originellen Sound auszeichnet. Horror trifft das „Lustige Taschenbuch“, so könnte man das Buch, das aus rund zwei Dutzend zusammenhängenden Geschichten besteht, mit wenigen Worten beschreiben. Die Hauptfiguren Miki und Mini lassen ganz bewusst an die weltbekannten Disney-Mäuse denken, bieten aber gleichzeitig reichlich Identifikationspotenzial, denn ihr Horror ist der ganz normale städtische Alltag: Da lauern menschenfressende Cousinen-Monster im Supermarkt, es zerbröckeln Gesichter unter den Abschminktüchern und ein Besuch bei Ikea wird zum existenzialistischen Spießrutenlauf. Skurril, bissig und doch einfühlsam widmet sich Barbi Marković in „Minihorror“ den Ängsten des Mittelstands.

Die gesamte ORF-Bestenliste finden Sie hier.

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