ORF Bestenliste April

Im April 2024 gelingt Valerie Fritschs „Zitronen“ (Suhrkamp) der Aufstieg auf Platz 1 der ORF-Bestenliste. Auf Platz 2 bleibt Julia Jost mit „Karawanken“ (Suhrkamp). Karl-Markus Gauß „Schiff aus Stein“ (Zsolnay) steigt neu auf Platz 3 ein.

Platz 1: Valerie Fritsch „Zitronen, Suhrkamp

2015 hat die damals gerade einmal 25-jährige Valerie Fritsch mit ihrem Weltuntergangs-Roman „Winters Garten“ einen weitreichenden Erfolg gelandet. Heute ist Fritsch eine fixe Größe in der deutschsprachigen Literatur. In ihren Büchern arbeitet sie sich oft an schwierigen Familienkonstellationen ab, so auch im neuen Roman „Zitronen“. Alles dreht sich darin um eine perfide Art des Kindesmissbrauchs, dem Münchhausen-Stellvertretersyndrom. Zu rund 95% Prozent handelt es sich bei den Tätern um Frauen, meist die leiblichen Mütter der Opfer, die ihre Kinder gezielt krank machen, um sich nach außen hin aufopfernd um sie zu kümmern. Die Täterin in Fritschs Roman ist eine gescheiterte Frau, die immer davon träumt, jemand anderer zu sein als sie selbst. Dem Opfer, ihrem Sohn, gelingt es sich aus dieser grausamen Zärtlichkeit zu lösen. Auf sich allein gestellt steht er vor der Aufgabe, den Scherben seiner Existenz zu entwachsen.  

Platz 2: Julia Jost „Karawanken“, Suhrkamp

Julia Jost wird momentan als vielversprechendste neue Stimme der heimischen Literaturszene gehandelt. 2019 trat die gebürtige Kärntnerin beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt an und wurde mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet. Aus dem Text, den sie dort las, ist nun ihr Debut „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht“ entstanden, veröffentlicht im renommierten Suhrkamp-Verlag. Mit dem Roman stellt sich Jost klar in die Tradition der Anti-Heimat-Literatur und findet dabei doch einen ganz eigenen, erfrischend heiter-ironischen Ton. Ausgehend von ihrer eigenen Kindheit im Kärnten der 80er und 90er Jahre entfaltet die Autorin eine genussvoll überzeichnete, grotesk-komische Dorfwelt: Stammtisch, NS-Verherrlichung, Freunderlwirtschaft. Auch alte Bekannte aus der Kärntner Polit-Elite sind unschwer zu erkennen. Doch den Roman auf diese politische Dimension zu reduzieren, wäre verfehlt. Im Zentrum steht die gewitzt-boshafte Sprache einer Autorin, von der man noch viel hören wird.

Platz 3: Karl-Markus Gauß „Schiff aus Stein“, Zsolnay

Ein würdiges Leben, ohne den Blick in den Abgrund zu wagen, das ist nicht möglich – so lautet das Credo des in Salzburg lebenden Schriftstellers Karl-Markus Gauß. Er hat sich vor allem als scharfzüngiger Kommentator der Tagespolitik und als bis an die Ränder Europas reisender Autor einen Namen gemacht. Im Mai feiert Gauß seinen 70. Geburtstag, dem er ein neues Buch vorwegschickt: „Schiff aus Stein“. Darin widmet er sich vorwiegend den Schönheiten des Alltäglichen. Er durchquert entlegene Ortschaften, spürt vergangenen Träumen nach und erinnert sich an Zufallsbegegnungen. Von Kaffeehausszenen, U-Bahn-Begegnungen, Friedhofsträumen, und Erkundungen wenig bekannter Orte, etwa in der Obersteiermark oder entlang der Küste Dalmatiens erzählen die Miniaturen im Buch. Gauß’ Kunst besteht im Sichtbarmachen der oftmals unsichtbaren Besonderheiten des Lebens.

Die gesamte ORF-Bestenliste finden Sie hier.

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