ORF Bestenliste Juni

Im Juni hält Karin Peschka mit ihrem Roman „Dschomba“ (Otto Müller) Platz 1. Marianne Fritz erreicht mit „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ (Bibliothek Suhrkamp) den zweiten Platz. Platz 3 geht sowohl an Tomaž Šalamun mit „Steine aus dem Himmel“ (Bibliothek Suhrkamo) als auch an Toni Morrison mit „Rezitativ“ (Rowohlt).

Platz 1: Karin Peschka, Dschomba, Otto Müller

In ihrem neuen Roman begibt sich die Schriftstellerin Karin Peschka in ihre oberösterreichische Heimat, genauer gesagt nach Eferding, wo sie als Wirtshaustochter aufgewachsen ist, bevor sie Jahre später den Weg zum Schreiben gefunden hat. Mit „Dschomba“ stellt Peschka einmal mehr ihre große Zuneigung für Randfiguren und gesellschaftliche Außenseiter unter Beweis, denn ein solcher ist der titelgebende Held Dragan Džomba. Aufgetaucht ist der Serbe Anfang der 50er Jahre, da hat er halb nackt zwischen den Gräbern des Eferdinger Friedhofs getanzt und es ist einzig dem Herrn Dechant zu verdanken, dass man ihn nicht gewaltsam verjagt hat. Jahrzehnte später gehört er immer noch nicht ganz dazu und seine Geschichte bleibt immer noch ein Rätsel, denn am Land werden nicht viele Fragen gestellt. Der gealterte Džomba sitzt nun quasi täglich im Gasthaus zum „Roten Krebs“, lässt sich von der jüngsten Wirtshaustochter seine Biere bringen, die zu dem Fremden eine tiefe Verbundenheit spürt.

Platz 2: Marianne Fritz, „Die Schwerkraft der Verhältnisse“, Bibliothek Suhrkamp

Eine Ausnahmeschriftstellerin, das war Marianne Fritz ganz ohne Zweifel. Ihr mehrere tausend Seiten umfassendes Romanprojekt „Die Festung“ ist legendär, auch wenn es durch die sprachliche Komplexität und den monströsen Umfang nur wenig rezipiert wurde. Im Zentrum ihres Schreibens stand die österreichische Geschichte des 20. Jahrhunderts und der Platz der „kleinen Leute“ darin. Interviews hat sie vermieden, auch Fotos gibt es von der 1948 in der Steiermark geborene Fritz nur wenige. 2007 starb Marianne Fritz, mit einer Neuauflage ihres Debutromans „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ lädt der Suhrkamp Verlag zu Wiederentdeckung ein. Sprachlich zugänglicher als ihr Spätwerk, erzählt Fritz darin ein Nachkriegsdrama in der Stadt Donaublau und überträgt den Medea-Mythos ins 20. Jahrhundert.

Platz 3 ex aequo: Tomaž Šalamun, „Steine aus dem Himmel“, Bibliothek Suhrkamp

Übersetzung: Matthias Göritz, Liza Linde und Monika Rinck

Tomaž Šalamun gilt als der bedeutendste und international bekanntester Dichter der slowenischen Gegenwartsliteratur, 2014 ist der 1941 in Zagreb geborene Schriftsteller verstorben. 51 Gedichtbände zählt sein Werk, das in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Er war Herausgeber des Literaturmagazins „Perspektive“, sein Debüt „Poker“ im Jahr 1966 gilt heute als Wendepunkt in der slowenischen Lyrik. Er war studierter Kunsthistoriker, arbeitete nebenher auch als Broker an der Börse, war Kulturattachée in New York, wo er bis heute als Dichter hoch verehrt wird. In der Reihe Bibliothek Suhrkamp ist nun eine Auswahl der Gedichte aus seinem Spätwerk erschienen, die erstmals in deutscher Übersetzung und gleichzeitig ein guter Einstieg in den lyrischen Kosmos des Dichters ist. Er selbst beschrieb seine Gedichte als „Steine aus dem Himmel“ – denn genau so würden sie ihm zufliegen. 

Platz 3 ex aequo: Toni Morrison, „Rezitativ“, Rowohlt

Übersetzung: Tanja Handels

Als erste afroamerikanische Literaturnobelpreisträgerin hat Toni Morrison 1993 Geschichte geschrieben, knapp vier Jahre sind seit dem Tod der Schriftstellerin inzwischen vergangen. In ihrem umfangreichen Romanwerk hat sich Morrison mit der Perspektive der schwarzen Frau innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft auseinandergesetzt, ausgehend von ihrer eigenen Biographie. „Rezitativ“ ist die einzige Erzählung, die Morrison je geschrieben hat. Veröffentlicht wurde der Text bereits 1983, erstmals liegt er nun in deutscher Übersetzung vor. Es ist eine Art literarisches Experiment, dem die Schriftstellerin ihr Publikum hier ausliefert: zwei achtjährige Mädchen, Twyla und Roberta, lernen sich in einem Kinderheim kennen. Twyla landet im Heim, weil ihre Mutter die ganze Nacht tanzen ging und sie alleine ließ, Roberta wiederum, weil ihre Mutter ständig krank war. Eines der Mädchen ist schwarz, das andere weiß – doch wer von beiden welche Hautfarbe hat, wird nicht verraten. Unweigerlich beginnt man beim Lesen zu rätseln und sitzt dabei wieder und wieder den eigenen rassistischen Vorurteilen auf. Denn sobald man glaubt, ein eindeutiges Indiz gefunden zu haben, kommt das nächstes Indiz, dass das vorherige entkräftet.

Die gesamte ORF-Bestenliste finden Sie hier.

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