Aus dem anzeiger: Fast Weltliteratur

Wie das Slowenische nach Frankfurt kam und uns seit vierzig Jahren mit Erzählungen und Versen erfreut. Von Lojze Wieser.

„Hab lang gehofft und bang verzagt“ schreibt France Prešeren 1848. Doch, jetzt ist es so weit: Slowenien tritt an. Und wenn man von Slowenien redet, redet man automatisch von den Rändern der slowenischen Literatur. „Prežihov Voranc und Florjan Lipuš, dazwischen ist nichts. Alles Große der slowenischen Literatur kommt vom Rand“ sagte der Kritiker und Essayist Josip Vidmar 1981 in Klagenfurt/Celovec. Seither hat sich, in den vergangenen vier Jahrzehnten, doch einiges getan. Slowenische Literatur wurde in den 440 Jahren geschrieben, bevor es den Staat Slowenien gab, und wird in den 33 Jahren geschrieben, seit es den slowenischen Staat gibt.

Der Raum, in dem diese Literatur entsteht, ist klein und doch so klein nicht, wenn man sich die Ergebnisse ansieht. „Fast Weltliteratur“ sei Boštjans Flug von Florjan Lipuš, sagt Peter Handke. Nicht nur zum slowenischen Zentralraum, auch zum österreichischen Raum musste erst einmal die Tür aufstoßen werden, gab es doch in Jugoslawien zu den Slowenen außerhalb Jugoslawiens in erster Linie ein sentimentales Verhältnis, im Sinne: „Ach sie leben noch.“ Und in Österreich und im deutschsprachigen Raum gar keins. So könnte man es zusammenfassen, wenn man sich die Statistiken der Übersetzungen anschaut. Alle paar Jahrzehnte ein paar Bücher. Dazwischen nichts. 

Mit dem Ende der Siebzigerjahre kam es zur sichtlichen Veränderung. Ausgehend von Klagenfurt/Celovec. Bis in die Zweitausenderjahre ging von hier eine regelrechte Offensive aus und eroberte Redaktionen, machte Rezensentinnen und Rezensenten neugierig. Den Blick öffneten die Betrachtungen der Geschichte des Kärntner Partisanenkampfes von Karel Prušnik-Gašper 1980 in der Hauptnachrichtensendung des ORF und kurze Zeit später kam 1982 via „Die Zeit“ der Eintritt in den größeren deutschsprachigen Raum: mit der mittlerweile legendär gewordenen Rezension von Ciril Kosmač´s Novelle Tantadruj, aus der Feder von Karl-Markus Gauß – „Partisan und der Tod“

Wieser, Drava und Hermagoras kommt in diesen Jahrzehnten eine bedeutende Rolle zu. Residenz und Folio sind mit dabei. Suhrkamp begleitete unser aller Bemühungen sporadisch. Eine für die Öffentlichkeit nichtexistente Literatur sichtbar zu machen, bedeutet mehr als diese von einer in die andere Sprache zu übertragen. Schutt an Falschinformation, Geröll an Vorurteilen, den Herrschaften und Überlegenheitsfuchtlern musste der Boden entzogen werden. Menschen mussten gefunden werden, die aus dem Original ins Deutsche zu übersetzen im Stande sind. Aus heutiger Sicht keine allzu großen Herausforderungen. Führende Medien hatten niemanden, der diese Literatur besprechen konnte, auch hier gaben wir Hilfestellung. In der Mitte der Nullerjahre begannen die ersten Gehversuche der slowenischen staatlichen Institutionen. Wir rodeten davor zweieinhalb Jahrzehnte den Boden. Gut dotiert und mit Salär ausgestattet, zogen sie an uns vorbei. Zu minder wären die Vermittlungserfolge, ließen sie wissen. Höher hinaus wollen sie und bedeutender sollen die Häuser sein, in denen Literatur aus Slowenien Platz nehmen soll.  

Von welchem Land sprechen wir? Welchem Märchen sollen wir unser Ohr leihen? Wir sprechen von einem Land, in dem zum Beispiel ein See, an die 25 ha groß, einmal im Jahr verschwindet, auf dessen Grund gemäht und geerntet, gejagt und mit Händen gefischt wird (Johann Wichard von Valvasor erzählt davon); wir sprechen von einer Region, in der der König Matjaž in einem Berg schläft und der Wiedererweckung harrt, nachdem sich der Bart sieben Mal um das Tischbein gewunden hat (Erich Prunč); wir kommen in ein Land, in dem „Greise Berge die Köpfe auf ein weißes Polster“ beugen (Srečko Kosovel); wir treffen auf Pfarrer, die Jahrzehnte vor Ausbruch des 1. Weltkrieges das Grauen in traurigen Liedern besingen (Simon Gregorčič), und lesen mit „Doberdob“ den ersten Antikriegsroman in slowenischer Sprache (Prežihov Voranc); wir begegnen Bienenzüchtern, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die hier Honig und Nektar sammelnde Carnica-Biene und die Grundsätze der Bienenzucht in einem bis heute geltenden Lehrbuch festhalten (Janez Sumper), sind von den bunt bemalten Bienenstockstirnbrettern fasziniert und ob der Motive erstaunt – ein Salut auf die darin mit Honig gefüllten Waben! 

Der Wind im Karst und die Poesie des Steins lädt uns zur Wiederholung ein (Peter Handke); wir schwimmen in Flüssen, die später versickern und unter anderen Namen wieder aus dem karstigen Boden quellen (Pivka/Ljubljanica); wir schauen Stücke, die in Gefängnissen von politischen Gefangenen gespielt werden (Jože Javoršek) und schlafen in einstigen Gefängnis-Zellen (Metelkova); wir hören von Irvin und Laibach, die schon in der selbstverwalteten sozialistischen Zeit die Grundfeste des politischen Systems erschüttern. Wir durchstreifen Täler und Gräben, sitzen in den Wäldern mit Bauernaufständlern zusammen, die sich mit Knappen verbrüdern, und lernen von den Protestanten das slowenische ABC, die sich ein gutes halbes Jahrhundert der Gegenreformation widersetzen und in dutzenden Büchern die Fundamente der slowenischen Sprache herausbringen (Primož Trubar, Jurij Dalmatin u.a.); wir sind stolz, als in Zeiten des immer wieder aufkommenden Sturms, trotzt Aussichtslosigkeit, breite Schichten dem Terror trotzen und erfolgreich das tausendjährige Reich besiegen; wir hören Philosophen, wie sie Hegel im verdrahteten Gehirn finden und der Welt nuschelnd erklären, warum sich ein Linker aus der Deckung wagt (Slavoj Žižek); folgen Alma M. Karlin, wie sie mit Bubikopf und Schreibmaschine um die Welt zieht; haben von Fabjan Hafner Erste und letzte Gedichte im Gepäck; fragen mit Miha Mazzini, warum Du nicht existierst (Izbrisana); steigen mit Goran Vojnović wieder mal zu Fuß bis in den zehnten Stock und skandieren „Tschefuren raus!“ Fragen bei Milan Dekleva nach, wo die Schnittmenge der Schönheit liegt; die wir dann bei Jakob J. Kenda im Appalachian Trail, beim Durchwandern der 3500 Kilometer Berge in Amerika zu finden glauben; Marij Čuk spielt alle Fugen der Liebe und Ana Marwan begleiten wir zu den Wechselkröten. Ob sie wohl auf dem Platz der Befreiung zu finden sind, lässt sich nicht ganz eindeutig beantworten (Andrej Blatnik). Jedenfalls klauben wir mit Tomaž Šalamun die Steine aus dem Himmel und fordern mit Esad Babačić: Ändert meinen Kopf; denn Erica Johnson Debeljak stellt in ihrem Memoir über einen plötzlichen Tod und die weibliche Selbstbestimmung apodiktisch in den Raum, dass wir verliebt, verheiratet, verwitwet und verhurt sind. Banalien, wirft Brane Mozetič ein, und wir begeben uns mit Boris Pahors Nakropolis in die Untiefen der menschlichen Seele, wie sie uns Jurij Devetak im Strip erzählt. Aus der Rumpelkammer der Geschichte würde Peter Svetina einwerfern. Und: Nachtfrauen von Maja Haderlap entführen uns in die Enge des Grenzwaldes.

Lauter Übergänge, die sich in der Literatur niederschlagen und manifestieren. Wir treffen uns auf der Agora in Frankfurt bei einer literarischen Geschmackshochzeit, denkt der Autor dieses Beitrags. Und, wir lachen mit König Dada.

Plötzlich hat es sich erwiesen, / das Abendrot / gefährdet den Staat. / Deshalb wird das Abendrot jedesmal, / wenn es sich zeigt, / ins schwarze Meer gesperrt. / Aufs goldene Mosaik der Grabstatt / strahlt die leuchtend rote /Abenddämmerung. / Ein einsames Pferd trabt herum / im Feld. / Zauber der Abenddämmerung! / Das Pferd ist melancholisch. (Srečko Kosovel,  Befehl Nummer 35; aus dem Slowenischen von Ludwig Hartinger).

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