anzeiger 5/24 – Preis dem Lobgesang

Für seine Bücher ist Heinz Janisch gerade mit einem der renommiertesten Literaturpreise der Welt ausgezeichnet worden. Und in Österreich mit dem Christine-Nöstlinger-Preis. Viel wichtiger aber: Seine Bücher gelten Kindern. Ja, Erwachsenen auch.

Interview: Erich Klein

Heinz Janisch ist 1960 in Güssing im Burgenland geboren, studierte Germanistik und Publizistik und lebt heute in Wien und im Burgenland. Er veröffentlichte zahlreiche Erzählungen, Gedichte und Bilderbücher. Heuer erhielt er den Christine-Nöstlinger-Preis und den Hans-Christian-Andersen-Preis, die wichtigste Auszeichnung für Kinderbuchautor:innen und -illustrator:innen weltweit.

Herr Janisch – wie spreche ich Sie an, als Kinderbuchautor oder als Radiojournalist?

Heinz Janisch – Ich habe Germanistik und Publizistik studiert und wollte eine Dissertation über Ilse Aichinger schreiben. Als sie nicht und nicht fertig wurde, sagte ich zum betreuenden Professor Wendelin Schmidt-Dengler, ich sei jetzt beim Radio. Neben dem Studium habe ich immer wieder für Zeitungen gearbeitet, unter anderem beim Verlag Sankt Gabriel für die Kinderzeitschrift Weite Welt. So bin ich in die Kinderbuchwelt hineingerutscht. Damals hatte ich auch bei der Ö3-Sendung „ZickZack“ begonnen, 1984 fing ich mit der Porträtreihe „Menschenbilder“ auf Ö1 an. Tagsüber machte ich Radio, in der Nacht setzte ich mich mit einem Lamperl hin und dachte: Ha, ein frisches Blatt, eine neue Seite! Der Großteil meiner Bücher entstand nachts. Ich war gern Journalist und habe gern meine eigenen Geschichten geschrieben. Jetzt mache ich eine Mischung: Ich habe die Lebensgeschichten des Bauern, Schriftstellers und Sozialrevolutionärs Franz Michael Felder aus dem Bregenzerwald und des bekanntesten dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen nacherzählt.

Und das nächste Buch wird „Ich, Heinz Janisch, Kinderbuchautor“?

Janisch – Ich wüsste nicht, was ich da schreiben sollte! (lacht) Ich wollte auch bei den „Menschenbildern“ selber nie interviewt werden. Als ich in den Vorruhestand trat, wollte man mich interviewen. Ich habe abgelehnt, mein Part ist der des Zuschauers, des Fragers.

Das Burgenland ist ein wichtiger Bezugspunkt in Ihrem Schreiben.

Janisch – Meist bin ich jetzt drei Tage in Wien und vier Tage im Burgenland zum Schreiben. Meine Tochter geht in Wien zur Schule, meine Frau hat im vierten Bezirk ihre Praxis. Das Burgenland ist mein Untergrund. Ich habe über die Gerüche der Kindheit geschrieben, Lobreden auf die Dinge dort verfasst. Nach dem Tod meiner Großeltern habe ich mich in ihr Haus gesetzt und ihre Dinge angeschaut: einen Bottich, einen Krug, ein Kopftuch. Ich habe bemerkt, wie wichtig sie mir als Erinnerungen sind. Das Burgenland war für mich lange Zeit eine Ferienlandschaft, denn als mein Vater als Zöllner ans Zollamt Wien kam, übersiedelten wir in die Nähe von Schwechat. Zu Ostern aber, zu Weihnachten und den ganzen Sommer über war ich bei den Großeltern in Deutsch Bieling, einem winzigen Dorf bei Güssing. Ich hatte dort alle Freiheiten. Die Großeltern versorgten mich in der Früh, danach war ich den ganzen Tag frei. Wenn ich hungrig wurde, ging ich in irgendein Haus und bekam Schmalzbrot. Eine Traumlandschaft war dieses Burgenland, mit Baumhausbauen und Indianerspielen. Als ich später meiner Frau die Orte meiner Kindheit zeigte, war sie vom Südburgenland dermaßen begeistert, dass wir uns ein Haus suchten. Seit 25 Jahren sind wir in diesem hundert Jahre alten, von uns umgebauten Haus. Aus dem Kuhstall wurde ein Wohnzimmer, aus dem Holzstadel mein Arbeitszimmer.

Ihre Lobgesänge auf Dinge sind gleichermaßen Erwachsenenliteratur wie kindertauglich.

Janisch – Das versuche ich meistens, lese Kindertexte bei Lesungen für Erwachsene und umgekehrt, weil ich mich danach sehne, dass meine Texte Erwachsene wie Kinder ansprechen, Achtjährige ebenso wie Achtzigjährige. Ich habe meine Lobreden mit Schulkindern gelesen, sie haben dann, davon angeregt, über ein Freundschaftsband geschrieben oder über den Ring vom Opa oder den Hut des Nachbarn. Es funktioniert also. Meine Sehnsucht war immer schon, dass sich all das ein wenig vermischt.

Wann wurde Ihnen klar, dass es sehr wichtig ist, engen Kontakt zu Kindern herzustellen?

Janisch – Wer für Kinder schreibt, ist neugierig darauf, wie Kinder reagieren. Ich habe rasch bemerkt, wie sehr mich selbst die ­direkte Art von Kindern freut. Sie stellen Fragen wie: Warum schaust du müde aus? Warum hast du die Geschichte geschrieben? Sie sind sehr ehrlich, das gefällt mir. In den nächsten Wochen bin ich 14 Tage auf Lesereise kreuz und quer durch Tirol und Salzburg. Den Kindern ist auch egal, dass ich beim ORF bin oder sonst irgendwer. Es geht um das Gespräch: Ich zeige ein Buch über einen Drachen, und ein Bub sagt: „Ich habe einen roten Traktor.“ Ich habe etwas Tolles, er hat etwas Tolles, und alles zusammen hat Sinn. Ich finde diese Begegnungen sehr schön.

Wie finden Sie die Unterscheidung zwischen Kinder- und Erwachsenenliteratur?

Janisch – Sie ist zumindest künstlich. Es gibt natürlich Texte, bei denen man denkt, das passt nicht für Kinder, aber man darf Kinder auch nicht unterschätzen. Weder in Wort noch im Bild. Ich liebe besondere Bilderbücher, und höre oft: Das ist sehr anspruchsvoll, das ist zu dunkel. Ich probiere es dennoch immer wieder, weil ich das Gefühl habe, die Kinder sollen merken, was da drinnen steckt. Ich will die Wertschätzung dafür wecken. Das ist was Besonderes. Also ich bin froh, wenn Grenzen aufgebrochen werden. Weil ich schöne Bücher liebe, bin ich zur Edition Thurnhof in Horn gegangen, wo ich fünf, sechs Bücher gemacht habe. Und zur Bibliothek der Provinz, weil die ein bisschen anders denken und anders funktionieren. Mir war schon klar, dass ich mich mit meiner Lyrik und mit meinen kurzen Prosageschichten eher in einer Nische befinde. Ich sehe Kinderliteratur immer doppelt wertvoll: Ich mag Kinder, und ich mag Literatur. Ich habe für die Kinderbücher sehr viel Wertschätzung bekommen und weiß, wo ich hingehöre.

Der Nöstlinger-Preis und jetzt zur Krönung der Andersen-Preis …

Janisch – Preise tun seelisch gut, sind ­seelischer Rückenwind. Die Verkaufszahlen meiner Bücher sind nicht riesig, sie sind zu speziell. Solche Wertschätzung bestärkt auch die Verlage, die sich in der Folge mehr trauen und mehr ausprobieren. Meine Bücher gibt es jetzt in fünfundzwanzig Sprachen, was mich freut und beim Andersen-Preis sicher geholfen hat. Alles ist mit den Lizenzen sehr international geworden, so gesehen waren die Preise immer unterstützend. Abgesehen vom Preisgeld, diese Wertschätzung, wenn eine Jury viele Bücher anschaut und deines als etwas Besonderes wahrnimmt, ist schon toll.

Wie ist das Gefühl eines burgenländischen Autors, der ins Chinesische oder in Farsi übersetzt wird?

Janisch – Es ist ein großes Abenteuer. Es gab eine Zeit, da wurde ich eingeladen: zweimal zur Buchmesse in Peking. Dort habe ich mit Deutschstudierenden gearbeitet. Ich war in Moskau, Kolumbien und Venezuela, eine Zeit lang richtig viel unterwegs, auch auf einem Kongress in Kolumbien. Ein großes Abenteuer, man lernt tolle Leute kennen, woraus dann neue Projekte entstehen.

Wie haben die Kinder reagiert?

Janisch – In einem meiner Bücher mit dem Titel „Es gibt so Tage“ erfindet ein Mädchen seine Tage. Mit diesem Buch war ich in Teheran. Es ist schön zu sehen, dass eine simple Idee überall funktioniert. Ein Mädchen schrieb dann: Es gibt so Tage, da fliegen alle Vögel aus den Käfigen. Im Iran ist das eine besondere Aussage. In Peking haben Kinder geschrieben, dass alles Geld voller Wüstenstaub ist.

Gab es für die Kinderbücher Vorbilder?

Janisch – Es gab Leseerfahrungen und Prägungen. Die Gedichte von Josef Guggenmos haben mich als Kind so sehr fasziniert, dass ich sie auswendig gelernt habe. James Krüss beeindruckte mich vom Rhythmus her. „Mio, mein Mio“ von Astrid Lindgren hat mich unfassbar berührt. Es war sehr schön, später einmal mit ihr für ein Ö1-„Menschenbild“ in jenem Park zu stehen, wo sie die Geschichte geschrieben hat. Meine Tochter heißt Lilly Mira als Gruß an Mira Lobe. Sie hat mir immer wieder Tipps gegeben, so auch die Runde um Käthe Recheis und Friedl Hofbauer. Sie hatten einen Jour fixe mit Kaffee und Kuchen, zu dem sie Junge wie Georg Bydlinski, mich und einige andere einluden. Da wurde dann immer hart, aber ehrlich kritisiert. Da konnte man schon hören: Die erste Zeile gefällt mir, den Rest wirfst du weg! Das war ziemlich heilsam.

Das war schon moderne Kinderliteratur.
Wie sieht Ihr Verhältnis zu klassischen Märchen aus?

Janisch – Ich bin mit Märchen aufgewachsen und habe Regale voller Märchen aus aller Welt zuhause. Ich habe auch viele Märchen neu erzählt und erzähle den Kindern immer, dass mich die Märchen zum Schreiben gebracht haben. Märchen hören oft mit dem Satz „Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute“ auf. Das hat mich als Kind sehr beschäftigt. Was machen sie heute? Das Buch ist aus, wie geht die Geschichte weiter? Ich begann dann die Geschichten, wie es weiterging, selbst zu schreiben: Sie fliegen nach der Hochzeit mit einem Hubschrauber, machen eine Weltreise, essen Pizza oder Salami und dergleichen. Mein Vater hat diese Geschichten abgetippt und an Kinderzeitschriften geschickt. Die haben das sogar gedruckt – eine erste Wertschätzung. Meine Geschichte, und darunter steht: „Heinz, acht Jahre alt“. Da willst du nicht mehr Fußballprofi werden, sondern Schriftsteller. Ein guter Einstieg. Märchen begleiten mich bis heute; ich erzähle jetzt nur anders, schräger und neu.

Was sagen Sie zu Gewalt in den Märchen und zu all den Diskussionen, die heute vom Standpunkt der politischen Korrektheit über Märchen geführt werden?

Janisch – Ich denke, man kann das Kindern zumuten, denn eine heile Welt ist ja auch ein falsches Bild, das man künstlich erzeugen will: von perfekten Eltern und einer perfekten Kindheit. Mich hat das nie gestört. Kinder können mit all dem umgehen. Ich habe ein Buch über den Tod meines Großvaters gemacht, „Rote Wangen“. Die Verlage waren skeptisch und einige Lehrende sagten: Ach, das ist ja ein Buch über das Sterben. Bei der Lesung sind Kinder aufgestanden und haben gesagt: Meine Oma ist gestorben, meine Katze ist überfahren worden. Kinder erleben solche Dinge, sie leben unter keinem Glassturz. So habe ich das Gefühl, man darf das machen. Die Nöstlinger hat es geschafft, Geschichten grundsätzlich zu „entsüßen“. Es ging dann nicht mehr um Prinzen, sondern um Buben aus dem Gemeindebau. Sie hat von Wirklichkeiten erzählt, die aber trotzdem toll sind, weil sich jemand verliebt oder Freunde findet.

Die diversen „Neger“ und „Negerkönige“ würden Sie stehen lassen?

Janisch – Ja, weil es ein Zeitdokument ist, und ich würde es mit einer Anmerkung erklären. Ich würde auch Dialektwörter lassen. Die Nöstlinger hat bei ihrem deutschen Verlag durchgesetzt, dass am Ende eines Buches ein Glossar steht, in dem die Wörter erklärt werden. Das wäre auch mein Weg. Ich würde auch „die Neger“ lassen und erklären. Ich finde es ein bisschen anmaßend von unserer heutigen Sicht, solche Ausdrücke zu eliminieren und in die Literatur reinzufahren. Das ist nicht mein Zugang!

Ein umstrittener Titel lautet „Kinder brauchen Märchen“. Brauchen Kinder Märchen? 

Janisch – Ich glaube ja, weil Märchen immer die Möglichkeitsform in sich tragen. Du gehst um die Ecke und wirst verwandelt. Es ist immer alles möglich. Ich verstehe auch, warum viele Therapeutinnen wie Verena Kast mit Märchen arbeiten. Jeder will ja verwandelt werden. Du bist eine Magd und wirst eine Prinzessin. Du bist der Knecht und wirst zum Prinzen. Es ist möglich. Du musst nur den richtigen Weg oder das richtige Zauberwort finden. Oder die Zauberpflanzen. Das Bewusstsein zu erzeugen, dass vieles möglich ist – glaube daran, und geh deinen Weg –, das finde ich spannend. Märchen machen genau das.

Wie haben Sie den Weg zum Lesen gefunden?

Janisch – Mein Papa hat gern gelesen, das brachte auch mich zum Lesen. Ich habe mir gedacht, wenn mein Papa, müde nach der Arbeit, noch eine Stunde lang in einem Buch liest, muss das etwas Besonderes sein. Dann will ich auch lesen. Er hat Anzengruber und Stifter aus der Pfarrbücherei geliehen und gelesen. Ich habe mir dann auch Bücher aus der Pfarrbücherei geholt – alles, was es dort gab. Vor allem Karl May natürlich. Mein Vater hatte auch ein Donauland-Abonnement, mit dem man jeden Monat ein Buch bekam. Es gab da einmal eine ganze Serie an Märchenbüchern. Ich habe später selbst viele Anthologien gemacht: „Die kluge Katze“, Katzenmärchen aus aller Welt, oder „Von Tieren und Zauberdingen“, Zaubermärchen. Ich habe Märchen von mutigen Mädchen und Märchen von mutigen Jungs gemacht. Es gibt Märchen über Freundschaft, über Liebe – insgesamt waren es ­sieben, acht Märchen-Anthologien.

Das schrecklichste und das schönste Buch Ihrer Kindheit?

Janisch – „Zwerg Nase“ von Wilhelm Hauff. Der hilft einer Frau, bekommt eine Suppe, wird verzaubert und bekommt eine hässliche Nase. Es hat mir wahnsinnige Angst macht, dass ich vielleicht irgendwo die falsche Suppe bekommen könnte oder irgendwas falsch gemacht habe. Und dann kommt er heim und wird von den Eltern nicht mehr erkannt. Ein furchtbarer Moment für ein Kind: Du kommst heim, und keiner kennt dich. Bei „Zwerg Nase“ habe ich mich sehr gefürchtet. Ein Buch, das ich sehr geliebt habe, war „Red Boy“ von Käthe Recheis. Ich trug das Buch viele Jahre mit mir herum. Da wird ein weißer Junge von einem Indianerstamm aufgezogen und allmählich selbst zum Indianer. Quasi ein Harry-Potter-Prinzip. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich ließ meine Haare lang wachsen und wollte auch Indianer sein. Aber „Indianer“ darf man vermutlich heute auch nicht mehr sagen.

Welche Pläne haben Sie?

Janisch – Es kommen neue Bilderbücher, ein neuer Lyrikband für Kinder und ein neuer Lyrikband für Erwachsene. Es ist genau so, wie ich es immer gemacht habe: Ich kritzle vor mich hin und mache eins nach dem anderen.

Und Ihre Lieblingsbuchhandlung?

Janisch – Bei mir um die Ecke ist Planet Buch, eine kleine Buchhandlung. Dort mache ich all meine Buchbestellungen, weil ich sie gern unterstütze.

Janisch Heinz c Nini Tschavoll
(c) Nini Tschavoll
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