anzeiger 3/2023 – Mit Lichtschwert und blauen Haaren zur Messe

Eine Manga- Superheldin will wissen, was auf der Leipziger Buchmesse passieren wird, und macht sich mit Lederkostüm und Laserschwert schlau.

Text: Larissa Kroft

Die Welt wird von dunklen Mächten bedroht, kann da eine Superheldin ganz allein das Ungeheure abwenden und alles zum Guten führen? Pandemie! Der Schreckensruf eilte um die Welt, vor keinem Land machte die Seuche halt, erst recht nicht vor Leipzig und seiner Buchmesse. Nicht einmal eine Superheldin konnte die Messe retten, als einzige Lösung blieb: Alles absagen, sogar die Superheldin musste in den Lockdown. Einmal, zweimal, ja dreimal hintereinander. Das Reich der Finsternis drohte alles in seinen Bann zu schlagen, die dunklen Mächte schienen zu siegen.

Nun aber öffnet sie strahlend ihre Tore wieder, die Leipziger Buchmesse, und lässt auch die entfesselte Superheldin in ihre weiten Hallen. Jahrelang hatte sie auf ein Treffen mit ihren Kolleg:innen, mit feschen Mangas und großen Comic-Held:innen warten müssen, jetzt sind sie wieder da, die dunklen Mächte in all ihre Medien gebannt, die fiktiven Realitäten können sich frei entfalten.

Nachdem die Welt von einem vernichtenden Virus heimgesucht worden ist, feiert die Messe jetzt ein Comeback. Statt Albträumen von Pritschen in Hallen als Notlager Glanz und Gloria von bunten Messeständen und geschäftigem Treiben. Die Medienwelt ist gerettet, die Leipziger Buchmesse empfängt nicht nur eine Superheldin, sondern die große Zahl derer, die von, mit und in Büchern leben – und seien es Mangas.

Die Königin der Manga-Comic-Convention und ihre Message

Einen Monat vor der Leipziger Buchmesse 2023 sind die Messehallen mit den gerundeten Glasdächern noch praktisch leer. Selbst eine Superheldin mit hellblauen Haaren, in Lederkostüm mit Cut-Outs und einem Lichtschwert an der Taille fällt dort niemandem auf. Schlecht, sehr schlecht. Wozu ist man eine? Doch vom 27. bis 31. April wird hier alles anders sein: großartig für die Superheldin und alle von Mangas, Comics und Cosplay Begeisterten. An den vier Messetagen wird Realität werden, was einem beim Eintippen von „Leipziger Buchmesse“ Google weit oben verspricht: „Leipziger Buchmesse Cosplay“. Da werden sich Menschen tummeln, die sich als Comic- oder Mangafiguren verkleiden, genau der Ort, an dem man sein muss, wenn man eine Superheldin ist. Sie nähert sich den Hallen, in denen die Manga-Comic-Convention (MCC) stattfinden wird. Kein lahmer Alltag mehr, hier wird sie Cosplay-Wettbewerbe, Manga-Kinoveranstaltungen, eine Kunstperformance des Körperkollektivs und vieles mehr erleben. In einem Monat schon. Einstweilen trifft sie hier nur auf einige Held:innen der Arbeit, noch dazu ohne Kostüm. Haben Stachanowist:innen keine Montur mehr?

Nun erscheint die Königin der MCC, Kerstin Krämer. Die Superheldin verbeugt sich tief. Huldvoll wird ihr eine Audienz gewährt, die Königin verkündet ihre Wünsche: „Sy­nergien, Überschneidungen und Austausch beider Welten, für die Buchmesse ebenso wie für die Convention. Auch wenn die MCC eine eigene Veranstaltung ist, wollen wir die Vernetzung mit der Buchmesse weiter verstärken. Das ist eine Win-win-Situation für Buchmesse wie auch die Manga-Comic-Con.“ 2019, vor dem Schrecken der pandemischen Finsternis, waren 286.000 Besucher:innen vor Ort. Knapp 86.000 von ihnen kamen vor allem wegen der MCC. Diese profitiert von der enormen Aufmerksamkeit der Medien für die Buchmesse, bringt ihr aber auch das bunte Völkchen junger
Manga- und Comicsfans. Damit sich alles gut vermischt, rücken Kinder-, Jugend- und fantastische Literatur heuer in Halle  3 räumlich näher an die MCC in Halle 1.

Superheldinnen sind zeitlos, kennen kein Altern. Das gilt für die typischen Besucher:innen der Buchmesse leider nicht, sie haben im Altersschnitt jene weit überflügelt, die zur Convention kommen. Die Jungen auf der MCC sind dynamischer, besser vernetzt – und sehen besser aus, denkt die Superheldin, während sie sich über ihr blaues Haar streicht. „Ich verwehre mich gegen eine Infantilisierung der MCC!“, sagt Königin Krämer streng. „Unser Programm ist hochwertig, vielfältig und sprichte viele Altersgruppen an. Die MCC hat viele Facetten und bietet vielen Menschen eine Plattform. Natürlich ist Cosplay wichtig. Aber es geht auch um Gaming, Manga, Anime, Comic und Fantasy.“ Wem sagst du das, lächelt die Superheldin.

Der Herr der Hallen verspricht: schneller, aktueller, vielfältiger

Wo aber steckt er, der Herr der Hallen der Bücher, wo residiert Oliver Zille? Die Superheldin irrt durch die Hallen, in denen bald schon rund 2.000 Aussteller:innen ihre Bücher präsentieren und knapp 130.000 Besucher:innen erwartet werden, etwa sechzig Prozent der Menge vor der pandemischen Finsternis. Das Grauen wirkt immer noch nach.

Da vorn, im Glanz der Hallenscheinwerfer, das muss er sein, der Mann mit dem Blick für die Zukunft! „Besucherzahlen zu schätzen gleicht immer einem Blick in die Glaskugel“, antwortet er auf die Frage der Heldin. „Alles wird schnelllebiger, die Menschen entscheiden sich kurzfristiger für den Messebesuch. Das ist eine Tendenz, die immer stärker bemerkbar wird.“ Darauf muss auch die Messe reagieren.

Ach, ginge es mir doch auch so, denkt die Superheldin. Sie verbringt viel Zeit damit, die schnelllebige Welt vor sich selbst und vor allem ihren Auswüchsen zu bewahren. Der Herr der Hallen der Bücher aber spricht: „Die Buchmesse ist nie nur ein Abbild der Gegenwart. Wir fungieren auch als Labor, um neue Dinge zu testen. Eine der Neuerungen ist das ,Forum Offene Gesellschaft‘. Hier sollen Verwerfungen diskutiert werden, die unsere Gesellschaft derzeit prägen – Raum für produktiven Streit.“ „Lichtschwertkämpfe!“, jubelt die Superheldin. Nein, nur Wortgefechte. „Dafür wurden Teile der Verlagsprogramme mit eigenen Beiträgen der Messe kombiniert und ein kuratiertes Programm zu gesellschaftspolitischen Themen geschaffen.“ Keine Lichtschwertkämpfe, schade, aber dafür soll der Austausch im Fokus stehen. Die Epoche, da einige wenige Autor:innen stundenlang aus einem Buch vorlasen, ist vorbei, eine dialogische Messe die Zukunft. Statt literarischer Berieselung Inspiration, Debatte, Austausch und Überraschungen.

Viele Verlage verspüren einen mächtigen Drang, möglichst viele Autor:innen auf der Messe vorzustellen. Das kann die Verlagsmitarbeiter:innen bei aller Freude ins Schwitzen bringen. Oliver Zille verspricht daher, „es sich dieses Jahr besonders zur Aufgabe zu machen, die Verlage bei der Betreuung ihrer Autor:innen zu unterstützen und somit für mehr Sichtbarkeit zu sorgen.“

SpeedDating und Kammeroper in Leipzig

Was aber erwartet das Publikum? Massen an unkostümierten Autor:innen? Der Superheldin erscheint das wenig sexy. Auf der Messe sollen dem Publikum möglichst viele Autor:innen vorgestellt werden. Worte statt Lichtschwerter. Es wird hier eher um erste Begegnungen gehen als um ausführliche Auseinandersetzung mit Schriftsteller:innen und Texten. „Speed­dating“ für alle Bücherliebhaber:innen nennt es der Herr der Hallen der Bücher. Und was ist dann das Programm von „Leipzig liest“? „Kammer­oper.“ Während der Messetage werden 2.400  Veranstaltungen an 500 Orten in der ganzen Stadt stattfinden: „Leipzig liest“ ist das größte Lesefest Europas mit Zeit für lange Lesungen und Gespräche bis tief in die Nacht hinein. In kleiner Runde, hinter geschlossenen Türen und ganz ohne Messetrubel. Merci, mein Herr! Die Superheldin zieht sich zurück, Audienz beendet.

Messeflair: wie Campingurlaub und Familienweihnachten

500 Leseorte – sie alle in Leipzig zu besuchen ist für die Superheldin natürlich ein Klacks. Zunächst macht sie an der Schaubühne Lindenfels halt. Diesem Theater gelingt es, gleichzeitig hip und gediegen zu wirken. „Krass“, murmelt die Superheldin und tritt mit flatterndem Umhang ins Innere der Kulturstätte. Hier geistern ein paar verirrte Tourist:innen herum und staunen über Plakate wie Flyer mit dem kuriosen Wort „meaois­wiamia“. Ein Zauberspruch? Die Superheldin runzelt die Stirn und beginnt einen Flyer zu lesen. Von einem Reich im Osten ist da zu lesen, das sich „Österreich“ nennt. Es ist der geladene Gast auf der Leipziger Buchmesse.

Unter diesen Umständen muss die Superheldin natürlich einen Flug in die Hauptstadt dieses Reiches machen. Kurzerhand aktiviert sie ihre Flugstiefel und landet bald darauf im  Wiener Picus Verlag.

Die Wände hier sind frisch gestrichen, der Fürst dieses Reichs zeigt bei der Begrüßung ein strahlendes Lächeln. Alexander Potyka, Vorsitzender des österreichischen Verlegerverbandes, empfängt die Superheldin als eingefleischter Fan der Leipziger Messe. „Selbst wenn ich keinen Messestand hätte, würde ich nach Leipzig fahren. Das ist eine unglaublich wichtige Kommunikationsplattform. Als Verleger braucht man den Austausch mit Kolleg:innen, Besucher:innen, Autor:innen und Journalist:innen. Der deutsche Markt ist für uns wichtig, so ist es sehr sinnvoll, auf die Messen in Deutschland zu fahren. Als kleiner Verlag erreicht man dort eine überproportionale Sichtbarkeit.“ Etwa die Hälfte aller nicht deutschen Verlage auf der Messe sei österreichisch, also jeder zehnte, insgesamt 200 Verlage. Was für ein Land, denkt die Superheldin. Es kämpft offenbar gern weit über seiner Gewichtsklasse.

Potyka freut sich auf all die Held:innen der Messe, die bekannten Gesichter aus der Branche und das besondere Flair. Ein solches haben Messen im Allgemeinen.
„Frankfurt ist ein bisschen wie Campingurlaub – man fährt hin, baut in kürzester Zeit alles auf und dann nach wenigen Tagen ebenso rasch wieder ab. Es erinnert aber auch an Familienweihnachten: Anstrengend, alle fürchten sich davor, wollen aber trotzdem im nächsten Jahr unbedingt wieder hin.“

Die Leipziger Messe ist live, aber tatsächlich digital

Die Superheldin muss nach Leipzig zurück, es warten ja noch 499 Leseorte, die sie abklappern will. Unterwegs begegnet ihr ein glänzend gekleideter Mann und stellt sich ihr als Andreas Knaut vor, Herold der Leipziger Buchmesse. Sie fragt den Unternehmenssprecher, wie das denn jetzt mit der Digitalisierung sei? Ist die nach den Jahren der pandemischen Finsternis passé? „Wenn wir heute genau hinschauen, stellen wir fest, dass wir zwar eine Präsenzveranstaltung sind, diese basiert aber auf einer digitalen Organisation und einem digitale Framework. Man lädt per E-Mail ein, verschickt und erhält Unterlagen digital, bei vielen Veranstaltungen gibt es auch einen Livestream, und für große Veranstaltungen werden spezielle Apps entwickelt. Das Einzige, was am Ende nicht digital ist, sind die wenigen Tage, an denen man sich vor Ort trifft. Aber auf die kommt es natürlich an.“

Und für genau diese Stunden werde der ganze Aufwand betrieben. „Die Besucher:innen erwarten heutzutage auch, dass alles digital funktioniert, dass sie alles mit dem Handy machen können. Und wir wollen zeigen, dass wir am Puls der Zeit sind.“ Manchmal sei der Kanal schon die Message: Die Manga-Comic-Con und die Leipziger Buchmesse arbeiten mit Podcast-Formaten, sind auf Twitter, Facebook und Instagram präsent. Es gibt Informationsveranstaltungen zu TikTok als Marketingtool, und das Hörbuch-Angebot auf Spotify wird genutzt. Mein Gott, ja, natürlich – die Superheldin fühlt sich nun doch verstanden. Vermittlung aktueller Inhalte mit aktuellen Tools.

Die Leipziger Buchmesse will Verleger:innen eine Plattform bieten, aber eben auch Menschen fürs Lesen begeistern, Mangas verkaufen und Superheldinnen zum Leben erwecken. Gerade die sind wichtig, besonders wenn sie um den gesellschaftlichen Fortschritt kämpfen. Die Messe ist eine Veranstaltung, die für eine offene Gesellschaft kämpft. „So wird das Thema Frauen im Iran in diesem Jahr eine große Rolle spielen. Ebenso der Krieg in der Ukraine“, hatte auch der Herr der Hallen, Oliver Zille, erklärt. „Natürlich können wir mit unseren Gesprächen nicht die Welt retten, aber unsere Aufgabe ist, Sichtweisen zu eröffnen und damit den Diskurs. Und das über sehr viele Themen hinweg. Wir zeigen etwa Kindern und Jugendlichen ganz konkret, welche Möglichkeiten es gibt, sich einzubringen.“ Dazu dient der Jugendcampus UVERSE mit Rap, Lyrik, Poetry-Slam, Theater, Tanz, Street-Art und Manga­kunst durch Teilhabe und Dialog.

Was aber haben, fragt sich die Superheldin, denn Buchhändler:innen von der Leipziger Buchmesse? Auf diese Frage hat sie zumindest eine Antwort gefunden: Wir kommen zu ihnen. Die Messe als Messenger der Buchhandlungen. Sie werden als genau die Orte präsentiert, an denen die Vermittlung von Büchern hauptsächlich stattfindet – was der Onlinehandel nicht leisten kann. So geht die Leipziger Buchmesse dieses Jahr on tour und veranstaltet im Rahmen des Projekts „Your place to read“ bis zum Messetermin im stationären Handel entsprechende Auftritte. 

Drei Millionen Euro bundesdeutscher Subventionen unterstreichen für die Superheldin die Bedeutung, die man der Großveranstaltung für die Buchbranche und das kulturelle Leben zuschreibt. Damit kämpft man gegen die Mächte der Finsternis wie Seuchen, gesellschaftliche Probleme, Leseschwäche, Teuerung und andere feindliche Kräfte – ein Kampf, dem sich auch die Superheldin gern anschließt und wofür sie ihre Kolleg:innen bei der MCC begeistern möchte. Damit wahr wird, was ihr Alexander Potyka noch nachgerufen hatte, als sie schon über die Dächer Wiens Richtung Leipzig davonflog: „Ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass diese Messe ewig bestehen wird!“

Illu Georg Feierfeil
(c) Georg Feierfeil
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