Anzeiger 11/2020 – Gangster, Familienfehden und vergessliche Mörder

Draußen wird es kalt und das eigene Sofa lädt wieder zum langen Verweilen ein. Das Herbstprogramm hält auch in diesem Jahr einige Überraschungen für Fans von Krimis und Thrillern bereit. Neben neuem Lesestoff aus Österreich, bedrohlichen Mafiaclans und verlorenen Inseln gibt es aber auch ein Wiedersehen mit altbekannten Ermittlern.

Text: Hannah Lea Jutz

Von Clans, Gangs und Gangstern

In „Nackt im Grab“ (Gmeiner) wird im Wald die Leiche eines jungen Mannes gefunden, der anscheinend nach einer bekannten Mafiamethode hingerichtet und dann nackt vergraben wurde. Kommissar Peter Heiland findet heraus, dass der Tote offenbar ein kleines Rädchen im Uhrwerk ­einer illegalen Organisation ist, die günstig Arbeiter vermietet und damit an Großbaustellen Millionen abzockt. Autor Felix Huby schickt Kommissar Heiland im neuen Roman auf Spurensuche von Berlin bis ins Schwabenland.

Bill lebt gern auf großem Fuß. Von schnellen Autos, Luxusuhren und Designerkleidung kann der Betrüger nicht genug bekommen. Nur mit Gewalt hat er es nicht so. Seine Partnerin Fiona hingegen hat damit kein Problem. Die zwei sind das ideale Liebespaar – nach dem Vorbild Bonnie und Clyde. Bis Bill es etwas zu weit treibt und die beiden von Jägern zu Gejagten werden. In „Love & Bullets“ (Suhrkamp­) von Nick Kolakowski reisen Fiona und Bill durch ganz Amerika, um vor einem New Yorker Gangster-Syndikat zu fliehen.

Statt eines Verbrecherpaars steht in „Die letzte­ Geliebte“ (Kiepenheuer & Witsch) ein Ermittlerpaar im Vordergrund. Hardy Engel und seine Gefährtin Polly Brandeis geraten im neuen Fall in den Sumpf von Hollywoods Geheimnissen, als sie einen Ex-Politiker genauer unter die Lupe nehmen. Dieser pflegt nicht nur regen Kontakt zum Ku-Klux-Klan und einer mysteriösen Geliebten, sondern scheint auch in eine Verschwörung verwickelt zu sein, die in die höchsten politischen Kreise des Landes reicht. Christof Weigolds dritter Roman über den deutschen Ermittler Hardy Engels, der im Hollywood der goldenen Zwanzigerjahre Verbrechen und Verschwörungen aufklärt.

Krimis und Thriller aus Österreich

Ursula Poznanski legt mit ihrem frisch mit dem Leo-Perutz-Preis für Wiener Kriminalliteratur ausgezeichneten Buch „VANITAS. Grau wie Asche“  den zweiten Band ihrer Reihe vor.  Wieder ermittelt die Wiener Blumenhändlerin Carolin. Während in der Blumenhandlung am Zentralfriedhof täglich ein junger Mann auftaucht, werden des Nachts Gräber geschändet. Bald liegt sogar eine frische Leiche auf einem der Gräber. Die Zeit für einen folgenreichen Schritt für Carolin ist gekommen.

Die Dynamiken von Familienclans lernt der Metzger in seinem neuen Fall kennen, als er auf der Suche nach seiner Verlobten in die Machenschaften eines solchen verwickelt wird. Denn kurz vor dem Jawort lässt Danjela Djurkovic den Metzger­ vor dem Altar stehen, kurz nachdem ein bedrohlicher Mann in der Kirche auftaucht. Thomas Raab liefert mit „Die Djurkovic und ihr Metzger“ (Haymon) das ersehnte Comeback und seinen achten Fall für den Restaurator Willibald Adrian Metzger. „Vom schönen Schein“ (Folio) handelt das neue Buch der österreichischen Krimiautorin Eva Rossmann­. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt die Politjournalistin und Verfassungsjuristin mörderische Geschichten, die hinter die Hochglanzfassaden von Vorstadtehen, Urlaubsidyllen und Seniorenresidenzen blicken.

Franz-Josef Freisinn-Wartenau ist ein ehrgeiziger Student. Schnell absolviert er das Studium der Rechtswissenschaften und beginnt anschließend am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen sein Richteramt. Als er eines Tages die erste Teilungsklage auf dem Tisch hat, kommt er auf eine Idee, die ihm später zum Verhängnis werden wird. „Gier auf der Waagschale“ (Leykam) von Autor Dietmar Steinbrenner ist eine True-Crime-Story, die die Abgründe der menschlichen Gier ergründet und zeigt, zu welchen Gedanken und Handlungen sie Menschen treibt.

In „Der Malik“ (Benevento) ver­schwin­­­det ein Mitarbeiter des österreichischen Finanzministeriums während einer Dienstreise auf Malta. Er hinterlässt eine Notiz mit den Worten „Der Malik“, arabisch für „König“, die den einzigen Anhaltspunkt für die beiden Kommissare Michael Lenhart und Sabine Preiss darstellt. Doch schon bald kommen die Ermittler einem Verbrecherkartell auf die Spur, das Korruption und Geldwäsche im großen Stil betreibt. Autor Bernhard Kreutner hat selbst Politikwissenschaft studiert und liefert einen Kriminalroman mit brisantem politischen Hintergrund.

Es bleibt in der Familie

Nachdem ihre Mutter spurlos verschwindet, ist die junge Architekturstudentin Sloane Connolly froh über Ablenkung. Diese kommt in Form eines merkwürdigen Angebots: Ein reicher Kunstförderer möchte, dass Sloane Denkmäler für sechs Personen entwirft, die in seinem Leben eine wichtige Rolle gespielt haben. Was Sloane jedoch nicht weiß: Keine der Personen ist an Altersschwäche gestorben. John Katzenbach schreibt im Psychothriller „Der Bruder“ (Droemer) von einem schwerreichen Psychopathen, der Rache will.

Orfamay Quest sorgt sich ebenfalls um ein Familienmitglied, und zwar um ihren vermissten Bruder. Oder zumindest erzählt sie das dem Privatdetektiv Philip Marlowe. Seine Ermittlungen führen ihn zu Orfamays großer Schwester, die ein großer Filmstar ist. Die Originalausgabe des Romans „Die kleine Schwester“ (Diogenes) von Raymond Chandler erschien bereits 1949 und entlarvt die gnadenlose Welt hinter dem schimmernden Hollywood-Glamour.

„Der gute Sohn“ (Unionsverlag) von der erfolgreichen Krimiautorin Jeong Yu-jeong erzählt die Geschichte vom Vorzeigeschüler Yu-jin. Eines Morgens wacht er auf und entdeckt im Wohnzimmer seine tote Mutter. Sie wurde ermordet – ihre Kehle durchgeschnitten. Erinnerungen an den letzten Abend hat Yu-jin keine. Alle Indizien deuten jedoch darauf hin, dass er der Mörder seiner Mutter ist.

Kommissar Kostas Charitos ist seit Kurzem stolzer Großvater und möchte sich eigentlich auf seine Familie konzentrieren. Bis der Besitzer einer Hotelkette in einem Badeort in der Nähe von Athen tot aufgefunden wird. Der Mörder hat ein Bekennerschreiben hinterlassen, in dem er den Toten als Heuchler bezeichnet. Der Vorfall ist der Beginn einer rätselhaften Mordserie. Die Anklage ist immer dieselbe, die Opfer jedoch könnten unterschiedlicher nicht sein. „Zeiten der Heuchelei“ (Diogenes) ist der neue Krimi des griechischen Bestsellerautors Petros Markaris.

Vom Vergessen und Vergessen-werden

Auf einer Insel, nicht unweit vom Festland, häufen sich ungewöhnliche Ereignisse. Regelmäßig gehen Dinge verloren: Zu Beginn sind es noch Hüte, dann alle Vögel und die Fähre. Schon bald gibt es auf der gesamten Insel keine Haarbänder und keine Rosen mehr. Auch die Erinnerungen der Bewohner verblassen langsam. Die wenigen, die nicht vergessen können, werden von der Erinnerungspolizei verfolgt. Der internationale Bestseller „Insel der verlorenen Erinnerung“ (Liebeskind) von Yoko Ogawa handelt vom Verlust von Freiheit und der Bedeutung der eigenen Vergangenheit.

Gibt es ein Recht auf Vergessenwerden? Dieser Frage geht Massimo Carlotto im Roman „Die Frau am Dienstag“ (Folio) auf den Grund. Bonamente Fanzago war bis zu seinem Schlaganfall ein erfolgreicher Pornodarsteller. Was ihm jetzt noch bleibt, sind die Treffen mit seiner mysteriösen Dienstagsfrau in der Pension Lisbona, die von dem sanftmütigen Transvestit Signor Alfredo geführt wird. Alles scheint friedlich, bis die Dienstagsfrau durch ein Verbrechen von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Menschen wie sie haben kein Recht darauf, vergessen zu werden.

In „Ein Irokese am Genfersee“ (Unionsverlag) schreibt Willi Wottreng über ein vergessenes Kapitel der Zeitgeschichte. Deskaheh, Chief des indigenen Volkes der Irokesen, kommt 1923 nach Europa. Es ist die letzte Chance, das Land seines Volkes im Norden Amerikas vor der Besetzung der Weißen zu retten. Seine Reise führt in die Schweiz, vom Völkerbund in Genf erhofft sich Deskaheh Hilfe. Während die Menschen in der Schweiz dem charismatischen Chief zu Füßen liegen, wird sein Appell nicht überall erhört. Autor Wottreng vereint Kriminalroman, Politthriller, Reportage und literarische Parabel.

Friedrich und Elisabeth sind schon seit 40 Jahren verheiratet. Trotz vieler Schicksalsschläge und Friedrichs Alzheimererkrankung sind die beiden glücklich. Bis Friedrich eines Abends einen TV-Beitrag über den seit 22 Jahren ungeklärten Mord an der besten Freundin ihrer Tochter sieht und vor Elisabeth Details erwähnt, die er gar nicht kennen dürfte. Im Thriller „Wenn das Licht gefriert“ (Gmeiner) schreibt Roman Klementovic über einen Mann, dessen voranschreitende Demenz unabsichtlich ein gut gehütetes Geheimnis preisgibt.

Der Tod wohnt am Meer

Das kleine Örtchen Föhr wird erschüttert, als eine Frau unter mysteriösen Umständen am Strand zu Tode kommt. Kurz darauf werden mehrere junge Männer erschossen. Inselpolizist Hark Hansen und die Flensburger Kommissarin Kerrin Iwersen stehen vor einem Rätsel: Wie passen diese Morde zusammen? Die Autorin von „Dunkelmeer“ (Piper), Stefanie Rogge, verbrachte ihre Ferien auf Föhr und legte ihre Bindung zur kleinen Insel nie ab.

Von einer Nordsee- geht es auf eine Ostseeinsel. Der Kriminalroman „Niewetow“ (Edition Nautilus) ist ein Remake von Ray Bradburys Klassiker „Der Tod ist ein einsames Geschäft“ (1985) und überträgt die Nachkriegsstimmung von Venice Beach in das neblige Inselstädtchen Niewetow. Dorthin reist der angehende Journalist Daniel Brandenburg und entdeckt kurz nach seiner Ankunft eine Leiche im Hafenbecken. Als weitere Tote folgen, ist Brandenburg schon bald überzeugt, dass in der Stadt ein Todesengel am Werk ist.

Im neuen Kriminalroman „Das Weiße Haus am Meer“ (emons) von Hannes Nygaard beschließt der US-amerikanische Präsident kurzfristig, an die Ostsee, den Timmendorfer Strand, zu reisen. Panik bei der deutschen Politik. Das LKA soll ein Attentat auf das Staatsoberhaupt verhindern, und auch Lüder Lüders wird der Arbeitsgruppe für Personenschutz zugeteilt. Seine Erfahrungen werden von seinen Kollegen jedoch nicht sonderlich ernst genommen, und so versucht Lüders­ einen Mann zu beschützen, der mit der ganzen Welt auf Konfrontationskurs geht.

Kommissar Van Veeteren ist eigentlich im Ruhestand. Bis er von einem ehemaligen Kollegen Besuch bekommt und dieser von Neuigkeiten aus einem alten Fall erzählt. In der Küstenstadt Oosterby­ wurden damals vier Menschen getötet, allesamt Mitglieder des „Vereins der Linkshänder­“. Das fünfte Mitglied des Vereins blieb verschwunden und wurde bald als Täter identifiziert – der Fall landete bei den Akten. Doch jetzt, Jahre später, taucht seine Leiche auf, und kurz darauf wird eine weitere Männerleiche gefunden. „Der Verein der Linkshänder“ (btb) vom schwedischen Kultautor Håkan Nesser begleitet Kommissar Van Veeteren und Inspektor Barbarotti bei der Suche nach einem Mörder, der die Ermittler an der Nase herumführt.

Vom Norden geht es in den Süden: Vor drei Jahren verschwand die sechszehnjährige Tochter von Tim Blancks bei einer Partyreise auf Mallorca. Während die Polizei den Fall schon längst aufgegeben hat, sucht Tim immer noch fieberhaft nach seiner Tochter Emme. Inzwischen arbeitet der Schwede in Palma als Privatdetektiv und soll die untreue Ehefrau eines deutschen Millionärs beschatten. Als der Geliebte der Frau tot aufgefunden wird und die Frau selbst verschwindet, stößt der Detektiv bei den Ermittlungen auf eine Spur seiner Tochter. „Verschollen in Palma“ (Tropen) ist der Start der neuen Mallorca-Krimiserie von Mons Kallentoft.

 

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