Staatssekretärin Mayer ehrt Marie NDiaye mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur 2023

Im Rahmen eines Festaktes im Mozarteum Salzburg überreichte Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer heute den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur 2023 an die französische Schriftstellerin Marie NDiaye. Der Preis wird jährlich vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS) vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.

Die Preisverleihung fand im Beisein von zahlreichen Repräsentant:innen aus Politik, Kultur und Wissenschaft statt, Landtagspräsidentin Brigitta Pallauf, Landeshauptmann-Stellverteter Stefan Schnöll, Präsidentin der Salzburger Festspiele Kristina Hammer, Generaldirektorin der Nationalbibliothek Johanna Rachinger, Geschäftsführer der Bundestheater-Holding Christian Kircher und Rektorin der Universität Mozarteum Salzburg Elisabeth Gutjahr.

„Ich freue mich, dass heute Marie NDiaye diesen Preis erhält, zählt sie doch seit vielen Jahren zu den unangefochtenen Größen der Gegenwartsliteratur“, so Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. „Wer denkt, es sei alles in bester Ordnung in unserer Wohlstandsgesellschaft, der irrt. Er muss nur ein Buch unserer Preisträgerin aufschlagen und weiß, dass vieles im Argen liegt. Der Glaube, dass die Ehe oder Familie ein Ort der Geborgenheit und Sicherheit sei, gerät dabei rasch ins Wanken. Denn im Privaten, im eigenen Heim nämlich, wohnt das Unheimliche, Gefährliche, ja Tödliche. Auch dort lebt und leidet man unter den diffizilen Formen der Ausgrenzung, Unterdrückung und sozialen Gewalt. Marie NDiayes Bücher sind komplex komponierte, in glasklarer Sprache geführte Gegenwartsanalysen, die aktuelle Fragen zu Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe und sozialer Klasse aufgreifen und bis in die feinsten Verästelungen des Zwischenmenschlichen hinein verfolgen. Heute ehren wir die unübertroffene Meisterin der literarischen Verstörung: Marie NDiaye, eine französische, eine europäische Autorin. Ich gratuliere Marie NDiaye herzlich zum diesjährigen Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur.“

In ihrer Laudatio verwies Anne-Catherine Simon auf Marie NDiayes Werke: „Ich persönlich kenne keine Autorin und keinen Autor in der Gegenwartsliteratur, die die Abgründigkeit sozialer und familiärer Abhängigkeitsverhältnisse so meisterhaft zu zeichnen verstünde wie Marie NDiaye. Ihre Romane sind Beziehungsromane von einer Radikalität sondergleichen, allerdings nicht Beziehungsromane, wie man sie gemeinhin versteht; Liebesbeziehungen, Affären, Ehen sind in ihren Geschichten eher nebensächlich. Viel häufiger nistet die Fäulnis im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern und in einer weiteren Beziehungskonstellation, die wir zu Unrecht glauben, aus unserer Gesellschaft verbannt zu haben: jener zwischen Herr bzw. Herrin und Diener bzw. Dienerin. Man findet sie in ihren Erzählungen, aber auch in ihrem jüngsten Roman, ‚Die Rache ist mein‘, ‚La vengeance m’appartient‘, in Form der Anwältin Susane und ihrer aus Mauritius stammenden Hausgehilfin Sharon, um deren Aufenthaltsgenehmigung sich Susane bemüht.
Manchmal bleiben diese Beziehungen untergründig bedrohlich, oft führen sie zu Brutalitäten bis an die Grenzen des Erträglichen. Jedem ist hier fast alles zuzutrauen, schon gar, wenn es Eltern sind. Kinder werden einfach durch andere ersetzt, verkauft oder mit Tieren verwechselt. Selbst die liebendste Mutter kann sich schlagartig in eine Frau verwandeln, die ihr Kind zwischen Ratten und faulenden Guaven dem Tod überlässt.
Doch so verstörend man das alles finden mag, das Verstörendste in ihrem Werk ist damit immer noch nicht erfasst. Ich sehe es in der Radikalität, mit der Marie NDiaye das Individuum als Beziehungswesen zeichnet. So sehr ist es von seinen Beziehungen definiert, dass es unter der Ambivalenz und Instabilität dieser Beziehungen zerbröseln muss. Es ist typisch für NDiayes Figuren, dass ihre Identität instabil ist, sich oft ihre Konturen aufzulösen scheinen. Sie verhalten sich schlagartig völlig anders als davor, wechseln die Rolle oder ihren Namen, oder plötzlich trägt eine andere Figur ihren Namen. Sie erkennen andere oder sich selbst nicht klar wieder, wissen selbst nicht genau, wer – inklusive ihnen selbst – was getan hat, wer wie mit wem verbunden ist.“

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