ORF Bestenliste Juli

Im Juli erobert Ali Smith mit ihrem Roman „Gefährten“ (Luchterhand) Platz 1. Ludwig Fels kommt mit „Mit mir hast du keine Chance“ (Jung und Jung) auf den zweiten Platz. Platz 3 geht an J. M. Coetzee mit „Der Pole“ (S. Fischer).

Platz 1: Ali Smith, Gefährten, Luchterhand

Übersetzung: Silvia Morawetz

In den letzten Jahren hat die schottische Schriftstellerin Ali Smith mit ihrer Jahreszeiten Tetralogie für Aufsehen gesorgt. „Herbst“, „Winter“, „Frühling“ und „Sommer“ waren der Versuch, der Gegenwart im Schreiben habhaft zu werden, genauer gesagt: die politisch prekäre Entwicklung Großbritanniens seit dem Brexit-Referendum literarisch greifbar zu machen. Mit die „Gefährten“ schlägt Ali Smith jedoch kein neues Kapitel ihres Schaffens auf, sondern fügt dem Ganzen quasi eine fünfte Jahreszeit hinzu – denn mit dem Post-Brexit-Großbritannien ist die Schriftstellerin noch nicht fertig, wird es womöglich noch lange nicht sein. Hauptfigur ist die Künstlerin Sandy, die das Haus ihres Vaters hütet, während der mit Herzproblemen auf der Intensivstation liegt – und das ausgerechnet im Lockdown. Ihre Isolation wird unterbrochen von einem Anruf einer ehemaligen Studienkollegin und Museumskuratorin, von der sie seit Jahrzehnten nichts gehört hat. Diese erzählt Sandy, sie sei beim Transport des sogenannten Boothby-Schlosses (ein kunstvoll gefertigtes Truhenschloss aus dem 16. Jahrhundert) von den britischen Grenzbeamten aufs Schlimmste schikaniert und stundenlang festgehalten worden. Drei Tage später stehen plötzlich die erwachsenen Kinder der Frau vor der Tür und beschuldigen Sandy, ihre Mutter „verrückt“ gemacht zu haben, da diese unmittelbar nach dem Gespräch verkündet habe, nun lesbisch zu sein. Ein Kunstvolles wie rätselhaftes Gegenwartsporträt, das zwischen Traum und Wirklichkeit changiert.

Platz 2: Ludwig Fels, „Mit mir hast du keine Chance“, Jung und Jung

Insgesamt zehn Gedichtbände hat der 2021 verstorbene Ludwig Fels zeitlebens veröffentlicht. Der Band „Mit mir hast du keine Chance“ kombiniert Fundstücke aus dem Nachlass mit einer Auswahl seines umfangreichen lyrischen Werks. Geboren 1946 im fränkischen Treuchtlingen, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, als uneheliches Kind von den Kleinstadtbürgern ausgegrenzt, zog es Ludwig Fels 1983 nach Wien, wo er bis zuletzt lebte. In der deutschsprachigen Literatur gilt er als Solitär: Zwar erschrieb sich der Autodidakt früh den Ruf des „Arbeiterschriftstellers“ und trat kurzzeitig dem „Werkkreis der Literatur der Arbeitswelten“ bei, entzog sich jedoch bewusst jeglicher Form der Vereinnahmung. Sein Vermächtnis: eine Definition von Literatur, deren Orientierungspunkte jenseits der Kategorien des Bildungsbürgertums liegen. Die erste Strophe des ersten Gedichts seines ersten Buch: »Ich bin der L. F. / wohne in einem dieser Häuser / fahre eines dieser Autos / zahle Miete und / die Strafzettel an der Windschutzscheibe / bin ledig und Arbeiter und / in der Mitte / zwischen arm und am ärmsten.«

Platz 3: J. M. Coetzee, „Der Pole“, S. Fischer

Übersetzung: Reinhild Böhnke

Der 1940 in Kapstadt geborene J. M. Coetzee kann auf eine beachtliche Karriere zurückblicken. Als erster Schriftsteller wurde er gleich zwei Mal mit dem Booker Price ausgezeichnet, 2003 wurde ihm der Literaturnobelpreis verliehen. Zuletzt machte Coetzee 2019 mit seiner „Jesus-Trilogie“ auf sich aufmerksam, in „Der Pole“ erzählt er die Geschichte eines gealterten Pianisten, der sich in eine wesentlich jüngere Frau verliebt. Die beiden lernen sich nach einem Konzert in Barcelona kennen. Er, wie der Titel schon verrät, Pole und Anfang 70. Sie, Katalin, knapp 50 und Mutter zweier erwachsener Kinder. Die Frau, wie sie im Buch lange Zeit nur genannt wird, ist zunächst alles andere als angezogen von ihrem Gegenüber. Sie findet ihn zu groß, seine Art zu sprechen irritiert sie, auch wenn sie einräumt, dass dies seinen schlechten Englischkenntnissen geschuldet sein mag. Doch als er beginnt ihr romantische Avancen zu machen und sie immer hartnäckiger zu beeindrucken versucht, ist ihr Interesse plötzlich geweckt. Doch warum eigentlich? Beim Lesen begleitet man die Frau, deren Name sich als Beatriz herausstellt, beim Nachdenken über diese Frage, während sie sich gleichzeitig immer intensiver auf „den Polen“ einlässt. Und so beginnt ein rätselhaftes Spiel zwischen zwei nicht weniger rätselhaften Figuren, mit dem Coetzee einmal mehr seine große literarische Raffinesse unter Beweis stellt.

Die gesamte ORF-Bestenliste finden Sie hier.

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