ORF Bestenliste Dezember

Im Dezember steigen gleich drei neue Titel auf den ersten Plätzen der ORF Bestenliste ein: Mit ihrem Roman „Betrug“ (Kiepenheuer & Witsch) steht Zadie Smith auf Platz 1. Der 2. Platz geht an Peter Handke mit „Die Ballade des letzten Gastes“ (Suhrkamp). Paul Auster landet mit „Baumgartner“ (Rowohlt) auf Platz 3.

Platz 1: Zadie Smith „Betrug“, Kiepenheuer & Witsch
Übersetzung: Tanja Handels

Mit ihrem Romandebüt „Zähne zeigen“ wurde die damals 25-jährige Zadie Smith im Jahr 2000 schlagartig bekannt. Etliche Romane, Erzählungen und Essays später, zählt die 1975 in London als Tochter einer Jamaikanerin und eines Briten geborene Smith zu den großen Stars der Literaturszene. In der Vergangenheit hat die Schriftstellerin ihr Schreiben meist im multikulturellen London der Gegenwart verankert, in „Betrug“ nimmt sie sich erstmals eines historischen Stoffes an. Die Handlung spielt im viktorianischen England und kreist um einen historischen Gerichtsprozess, den sogenannten „Tichborne Fall“. Arthur Orten, ein Londoner Fleischhacker steht vor Gericht, weil er behauptet, Roger Tichborne zu sein, der Jahre zuvor verschollene Erbe des Tichborne-Clans. Lady Tichborne meint in dem Mann ihren Sohn wiederzuerkennen, doch die restliche Verwandtschaft durchschaut den Betrug. Die gänzliche Unähnlichkeit zwischen den beiden Männern sowie Ortons völlige Unkenntnis des Französischen (Tichbornes zweiter Muttersprache) sollte aus dem Fall eigentlich eine klare Angelegenheit machen – doch die Presse macht aus dem Hochstapler eine Art Robin Hood, eine Galionsfigur des Klassenkampfs.

Platz 2: Peter Handke „Die Ballade des letzten Gastes“, Suhrkamp

In „Die Ballade des letzten Gastes“ erzählt Peter Handke, wieder einmal, vom Aufbrechen und Zurückkehren und davon, wie sehr Veränderung und Vertrautheit Hand in Hand gehen. Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist die in Peter Handkes Werk immer wiederkehrende Figur des Gregor: Gregor ist es, der in diesem Text in sein ‚vormaliges Vieldörferland’ aufbricht aus Anlass der Geburt eines Kindes: seine Schwester wünscht sich, er, Gregor, solle der Taufpate sein. Es ist ein Text, in dem Peter Handke erneut zeigt, wozu seine radikal subjektive Literatur befähigt: mittels Sprache, mittels eines Erzählens, das sich an keiner Stelle aufplustert, in eine Bewegung zu kommen, in der Gegenwärtiges und Vergangenes, Grauen, Geheimnis und Glanz in ihrer fürchterlichen wie friedvollen Verflechtetheit spürbar werden. Nicht zufällig spielt das Wort „Flechte“ in diesem Buch eine so wichtige Rolle.

Platz 3: Paul Auster „Baumgartner“, Rowohlt
Übersetzung: Werner Schmitz

Mehr als 30 Romane, übersetzt in rund 40 Sprachen – Paul Auster ist einer der ganz großen Autoren der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Der bevorzugte Erzählkosmos des 1947 in New Jersey geborenen Schriftstellers: seine Heimatstadt New York, genauer gesagt der Stadtteil Brooklyn, wo er mit seiner Frau, der bekannten Autorin Siri Hustvedt, wohnt. Sein neuer Roman „Baumgartner“ ist mit knapp 200 Seiten ungewohnt schmal ausgefallen, hatten doch die beiden Vorgänger „4321“ und „In Flammen“ weit über 1.000 Seiten – was mit der Krebserkrankung zu tun haben mag, gegen die Auster seit Monaten ankämpft. Geschmälter hat sich allerdings nur der Umfang, denn an erzählerischer Brillanz hat Auster hier nichts eingebüßt. Der titelgebende Baumgartner ist ein emeritierter College-Professor, der an der renommierten Princeton-University Philosophie gelehrt hat und seine Zeit mit dem Verfassen neuer philosophischer Schriften, zunehmend aber auch mit dem Schwelgen in Erinnerungen verbringt, in einem Leben, das nicht mehr ist. Seit 10 Jahren ist Baumgartner nun schon verwitwet, doch über den Tod seiner geliebten Frau Anna ist er mitnichten hinweg. Was klingt wie ein melancholisches Alterswerk, ist tatsächlich eine durchaus humorvolle Charakterstudie, gespickt mit literarischen und philosophischen Querverweisen.

Die gesamte ORF-Bestenliste finden Sie hier.

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