Das Mädchen aus dem Lager – Der lange Weg der Cecilia Klein

Heather Morris

VerlagPiper eBooks
ISBN9783492997102
EUR
9.99

Inhalt

Kapitel 1 KZ Auschwitz, 27.Januar 1945 Cilka starrt den Soldaten an, der vor ihr steht, ein Angehöriger der Infanterieeinheit, die ins Lager eingerückt ist. Er sagt etwas auf Russisch, dann auf Deutsch. Turmhoch überragt der Soldat das achtzehnjährige Mädchen. "Du bist frei." Sie weiß nicht, ob sie diese Worte wirklich gehört hat. Die einzigen Russen, die sie bisher im Lager gesehen hat, waren ausgemergelte, halb verhungerte Kriegsgefangene. Kann es wirklich sein, dass es Freiheit gibt? Kann dieser Albtraum vorüber sein? Als sie nicht reagiert, beugt er sich herunter und legt ihr die Hände auf die Schultern. Sie fährt zusammen. Schnell zieht er die Hände zurück. "Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken." Er spricht weiter in stockendem Deutsch. Schüttelt den Kopf, offenbar kommt er zu dem Schluss, dass sie ihn nicht versteht. Mit einer weiten Handbewegung wiederholt er die Worte langsam. "Du bist frei. Du bist sicher. Wir sind die sowjetische Armee, und wir sind hier, um euch zu helfen." "Ich verstehe", flüstert Cilka und zieht sich den Mantel enger um ihre schmale Gestalt. "Verstehst du Russisch?" Cilka nickt. Als Kind ist sie mit einem ostslawischen Dialekt in Berührung gekommen, dem Russinischen. "Wie heißt du?", fragt er sanft. Cilka blickt auf in die Augen des Soldaten und sagt klar und deutlich: "Ich heiße Cecilia Klein, aber meine Freunde nennen mich Cilka." "Ein hübscher Name", sagt er. Seltsam, einen Mann anzusehen, der nicht einer ihrer Peiniger ist und doch bei so guter Gesundheit. Seine hellen Augen, die runden Wangen, das blonde Haar, das unter seiner Mütze hervorsieht. "Woher kommst du, Cilka Klein?" Die Erinnerung an ihr altes Leben ist verblasst, verschwommen. Irgendwann war es zu schmerzlich geworden, sich zu erinnern, dass es ihr früheres Leben mit ihrer Familie in Bardejov wirklich gegeben hat. "Ich komme aus der Tschechoslowakei", bringt sie mit brüchiger Stimme heraus. KZ Auschwitz-Birkenau, Februar 1945 Cilka sitzt in der Baracke, so nahe wie möglich an dem einzigen Ofen, der etwas Wärme abgibt. Sie weiß, dass sie bereits aufgefallen ist. Die anderen halbwegs gesunden Frauen, auch ihre Freundinnen, wurden schon vor Wochen von der SS in Kolonnen aus dem Lager getrieben. Die verbliebenen Häftlinge sind zu Skeletten abgemagert, krank oder Kinder. Und dann ist da noch Cilka. Sie sollten alle erschossen werden, aber in der Hast, selbst wegzukommen, überließen die Nazis sie ihrem Schicksal. Außer den Soldaten sind jetzt noch andere Offizielle hier - Beamte der Spionageabwehr, hat Cilka gehört, aber sie weiß nicht so genau, was das bedeutet -, um eine Sachlage zu regeln, für die die gemeinen Soldaten nicht ausgebildet sind. Sie haben die Aufgabe, Recht und Ordnung durchzusetzen und vor allem jede mögliche Bedrohung vom Sowjetstaat abzuwenden. Daher, so haben ihr die Soldaten gesagt, befragen sie alle Gefangenen, um den jeweiligen Haftgrund zu bestimmen und zu klären, ob sie mit den Nazis kollaboriert haben. Die fliehende deutsche Wehrmacht gilt als Staatsfeind der Sowjetunion, und jeder, der irgendeine Verbindung zu ihr hat, ist per se ein Feind der Sowjets. Ein Soldat betritt die Baracke. "Mitkommen", sagt er und zeigt auf Cilka. Gleichzeitig packt eine Hand ihren rechten Arm und zieht sie auf die Beine. Mehrere Wochen sind vergangen, und sie hat viele Male mit angesehen, wie andere aus der Baracke zum Verhör gebracht wurden. Jetzt ist eben sie an der Reihe. Sie ist achtzehn Jahre alt, und sie kann nur hoffen, dass man ihre Lage versteht: Um zu überleben, hatte sie keine andere Wahl, als zu tun, was sie getan hat. Das oder den Tod. Sie kann nur hoffen, dass sie bald zurück darf in ihre Heimat, die Tschechoslowakei, dass es irgendwie vorwärtsgeht. Als sie in das Gebäude geführt wird, das die Sowjets als Kommandozentrale nut
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