Anzeiger 7/8/2021 – Wohin die Reise geht

Regionalität und Emotionalität sollen den Bereich Outdoor, Reisen und Ausflüge in Zukunft bestimmen, um damit bessere Geschäfte zu machen.


Text: Teresa Preis

Ein Blick auf die Umsatzzahlen der vergangenen 18 Monate zeigt, die Warengruppe Reise brach mit dem Beginn der Pandemie ein – und scheint sich erst jetzt langsam zu erholen. Eine ganz eigene, positivere Geschichte gab es zur selben Zeit bei regionalen Schwerpunkten, Wander- und auch Radkarten.

ALS ERSTES KAM DIE SCHOCKSTARRE
„Ich glaube, man kann sagen, wir sind die Gewinner im Reisebereich“, sagt Michael Schröder, Geschäftsführer des Innsbrucker Verlags Kompass Karten. Knapp 36 Prozent büßte die Warengruppe Reisen im Jahr 2020 im österreichischen Handel verglichen zum Vorjahr ein. Zwar haben Schröder und sein Verlag mittlerweile wieder Erfolg, doch auch für ihn brachte die Corona-Pandemie Sorgen: „Zu Beginn hatten wir ein Minus von sechzig Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.“ Auch im April 2020 lag der Verlag noch bei einem ähnlichen Wert. „Ich habe mich noch gewundert, dass nicht einmal die Outdoor-Produkte gefragt waren“, erzählt Schröder, der sich die ersten Monate vor allem mit Kurzarbeitsanträgen, Druckstopps und Ungewissheit herumschlagen musste.

Robert Ivancich hat den Start der Pandemie aus zwei Perspektiven mitbekommen. Einerseits mit seinen Kral Buchhandlungen in Berndorf, Baden, Mödling und St. Gabriel,­ andererseits mit dem eigenen Kral Verlag. „Nach der Schockstarre im ersten Lockdown, die für alle Bereiche der Branche gegolten hat, waren regionale Reiseführer ab Frühjahr 2020 ein riesiges Thema“, erklärt der Verleger. „Das zieht sich bis heute durch, allerdings in abgeschwächter Form. Wir können mittlerweile alle mit der Pandemie ein bisschen umgehen, das merkt man auch bei der Nachfrage. Im Verlag sowie im Buchhandel habe ich zudem mit verstärkten Marketingaktionen gearbeitet: Büchertische und Präsentationen in den Buchhandlungen, Bewerbungen für den Verlag. Das hat den Trend verstärkt und den Verkauf nachhaltig in die Höhe getrieben.“­

Elisabeth Blasch, zuständig für Programm und Projektmanagement in den Styria­ Buchverlagen, konnte die Veränderung bei der Nachfrage anhand der unterschiedlichen Schwerpunktregionen gut beobachten: „Bei unseren Titeln für den Alpen-Adria-Raum haben wir diesen Rückgang nach den starken Jahren zuvor besonders deutlich zu spüren bekommen. Gleichzeitig hat das Styria-Programm aber davon profitiert, dass nach dem Lockdown im Sommer 2020 das Interesse an Reise- und Outdoor-Büchern für Österreich stark gestiegen ist.“

DIE BACKLIST-ÜBERRASCHUNG – UND PRODUKTLEBENSZYKLEN
Als Verlag mit den Schwerpunkten Reise­literatur und Wanderführer konnte der Kral Verlag programmatisch kaum auf die Pandemie reagieren. Doch eine Sache überraschte Robert Ivancich dann doch: „Wir mussten einige Backlist-Titel sehr schnell nachdrucken.“ Eine erfreuliche Entwicklung in einem Segment, in dem die Schnelllebigkeit der Produkte eigentlich den Ton angibt. „Alle Verlage sollten sich den momentanen Wahnsinn überlegen, Produktlebenszyklen von Reiseliteratur auf drei Jahre zu verkürzen“, lautet sein Appell. „Wenn Corona etwas gezeigt hat, dann, dass diese immer schneller werdenden Aktualisierungszyklen eine hochgradig gefährliche Entwicklung sind. Wer soll das bezahlen?“

Etwas anders sieht das Elisabeth Blasch vom Styria Verlag. Auch hier war seit dem Ausbruch der Pandemie ein Trend zu Backlisttiteln der Reiseliteratur zu beobachten. „Aus unserer Sicht ist es eine schöne Besonderheit des Reisesegments, dass der Markt nicht so stark von Novitäten getrieben ist wie in anderen Warengruppen und Titel länger leben dürfen.“

SPAZIEREN, WANDERN, CAMPEN: HAUPTSACHE, OUTDOOR
Der Trend zu Freizeitaktivitäten im Freien brachte einen Aufschwung im Reisesegment. „Ganz konkret wurde der Spaß am Gehen von vielen (wieder-)entdeckt, diese Freude am Hinausgehen, am Wandern und Spazieren. Das wurde von einigen unserer Titel bedient“, so Elisabeth Blasch vom Styria Verlag. Dazu gehörten im Verlag etwa „Gehen auf alten Wegen“ von Martin Burger mit historischem Fokus oder auch „Schöne Aussicht!“ von Wilhelm Burger. „Das Entdecken der näheren Umgebung, das sich ja ganz allgemein im Trend zur Re-Regionalisierung zeigt, war in unserer Programmarbeit stets ein zentraler Fokus, der so aktuell wie nie scheint“, so die Programmverantwortliche. Für Wien etwa hat Ilse Königs „Wien für Fortgeschrittene“ einmal mehr gezeigt, dass die Lust auf neue Perspektiven und frische Ansätze immer wieder entfacht werden kann. Bei Styria bemerkte sie außerdem eine hohe Nachfrage zum Thema Radfahren, insbesondere mit E-Bikes.

DAS ERSTES HALBJAHR 2021 WAR ZAGHAFT BESSER
„Nach einem eher schwachen Frühjahr 2021 wegen des Lockdowns und des schlechten Wetters im April hat das Geschäft vor allem in der Wander- und Outdoor-Literatur nun deutlich angezogen“, beobachtet Carl Rauch, Geschäftsführer bei freytag & berndt. „Es hilft uns auch, dass viele Österreicher*innen wieder auf Urlaub im Inland fahren und der Absatz mit Wanderkarten und Wander- und Radführern noch einmal deutlich über 2020 liegt.“ Allerdings wird nicht nur gewandert. „Wir erleben jetzt eine Rückkehr der innereuropäischen Individualreisen und haben zum Beispiel im Juni in Deutschland mehr Autokarten als Wanderkarten verkauft.“ Verlagseigene Produkte wie die Rother Wanderführer, freytag & berndt-Wanderkarten oder auch Partnerprodukte etwa vom Esterbauer Verlag mit den „bikeline“-Radtourenbüchern erreichten ein ganz neues Publikum, „das sich vor zwei Jahren vielleicht noch nicht so intensiv mit dem Thema Wandern und Fahrradtouren beschäftigt hatte“.

In den niederösterreichischen Kral Buchhandlungen „ist die Reiseführerwand im Vorjahr wie eine Mauer gestanden. Das hat sich gar nicht verkauft, während Wanderführer sehr gut gegangen sind“, so Verleger Ivancich. „Die Nachfrage nach klassischen Reiseführern hat sich erst im Frühjahr 2021 zaghaft, jetzt im Sommer massiv ins Positive verändert.“ Die Einbrüche betrafen alle Länder außerhalb Österreichs, nicht nur Fernreiseziele. „Doch langsam kommen auch wieder die Regionen wie Dalmatien und Istrien auf. Alles, was mit dem Zug oder dem Auto erreicht werden kann, ist gefragt“, sagt Ivancich­.

Wie sich die Situation der Reisebücher im ersten Halbjahr bei Styria gestaltet hat, „ist je nach Region sehr unterschiedlich“, sagt Elisabeth Blasch. „Ganz aktuell beobachten wir, dass das Interesse für Bücher in der Alpen-Adria-Region mit der erhöhten Reisetätigkeit wieder steigt – auf einem Vorkrisenniveau sind wir hier aber noch nicht. Besser sieht die Situation bei innerösterreichischen Titeln aus. Hier wie da machen uns einige sehr starke Titel im aktuellen Programm zuversichtlich für die weitere Entwicklung.“

Michael Schröder beobachtete eine besondere Kurve beim Kompass Verlag. „Als es wieder losging im Mai und Juni 2020, hatten wir noch ein leichtes Minus“, so der Geschäftsführer. „Aber ab Juli erlebten wir jeden Monat ein Plus von 20 bis 30 Prozent  – und zwar noch bis in den Dezember hinein. Einziger Dämpfer war der Lockdown im Weihnachtsgeschäft, gerade für unsere Bildbände. Im Jänner 2021 hatten wir nochmals ein Minus von fünfzig Prozent, im Februar lagen wir bei minus 25 Prozent.“ Doch seitdem wurde aufgeholt: „Im März und April 2021 erreichten wir jeweils um die 200 Prozent Plus im Vergleich zu den Rückgängen im Frühjahr 2020.“ Auch verglichen mit dem Geschäftsjahr 2019 schnitt das Katas­trophenjahr 2020 besser ab – und der Trend scheint vorerst zu halten.

DIE DIGITALISIERUNG VERSTÄRKT SICH WEITER
Auch bei den Reiseverlagen ist das Thema Digitalisierung ein wichtiges Thema – und umfasst dabei mehr als nur Social Media oder E-Books. Vor allem Apps und mobile Karten sind ein zentrales Thema, trotz der Konkurrenz durch Produkte großer Konzerne wie Google Maps und Co. Für Michael Schröder vom Kompass Verlag steht fest: „Kein Printprodukt verlässt unser Haus ohne digitale Erweiterung.“ Er möchte Digital und Print miteinander verbinden, „weil sie sich gut ergänzen“. Kompass hat in dem Bereich bereits einiges ausprobiert, seit etwa drei Jahren auch mit einer hauseigenen App.

Mit jeder gekauften Wanderkarte bekommen die Kund*innen von Kompass die App mit derselben zoombaren Karte gratis dazu. „Wer mit der App mehr machen möchte – etwa selbst Touren planen oder auf Wanderführertouren zugreifen –, kann ein Abo abschließen. Da gibt es drei verschiedene Modelle, das größte ist ein Jahresabo, und man kann auch unterwegs auf alle Karten und Touren des Verlags zugreifen“, beschreibt Schröder das Konzept.

Zu Beginn waren Kund*innen noch zögerlich, die Handhabung war zu umständlich. „Jetzt kann man in der App den QR-Code scannen und kommt direkt zur Karte. Mittlerweile holen sich zwanzig Prozent der Wanderkartenkäufer*innen die App gratis dazu. Damit bin ich schon recht zufrieden. Vor einem Jahr standen wir noch bei rund sieben Prozent. Von den zwanzig Prozent, die die App herunterladen, schließen ungefähr fünf Prozent ein Abo ab“, sagt Schröder­. Mit dem Relaunch der App wurde auch der Preis der Wanderkarten leicht erhöht. „Beim Verkauf jeder verkauften Karte geht ein Anteil ins digitale Geschäftsmodell. Voraussichtlich werden wir bis Ende des Jahres so weit sein, dass sich das App-Modell eigenständig trägt und die laufenden Kosten gedeckt sind.“

Bei freytag & berndt wird an einem neuen Onlineprodukt gearbeitet, „einer neuen Wander- und Rad-App, die wir im Frühjahr 2022 launchen werden. Dazu haben wir online unsere Zusammenarbeit mit Bloggern verstärkt“, erklärt Carl Rauch. Für den Geschäftsführer ist dies eine natürliche Erweiterung des Portfolios. „Gerade im Reise- und Outdoor-Segment gibt es wunderbare Autor*innen, etwa die ,Seenomaden‘, die mit ihren Berichten zu neuen Abenteuern einladen und damit gut zu freytag & berndt ­passen.“

Die Frage nach einer sinnvollen Erweiterung der Printprodukte stellt man sich auch bei Styria. „Die Digitalisierung ist für uns eine spannende Frage und Herausforderung für die kommenden Jahre, etwa was die Bereitstellung von ergänzendem Content- und Cross-Media-Publishing betrifft“, sagt Elisabeth Blasch. Bisher sei die Digitalisierung in den Styria Buchverlagen vor allem im Marketing und der Veranstaltungsorganisation fix verankert. „Da hat die Corona-Pandemie als zusätzlicher Beschleuniger gewirkt, etwa was Social Media, Onlinelesungen etc. betrifft. Bezahlt gemacht hat sich hier auch gerade während der Lockdowns unser eigener Webshop. Die Verschiebung der Umsätze in Richtung des (regionalen) Onlinehandels ist deutlich spürbar – und wird auch nicht mehr weggehen“, zeigt sich Blasch überzeugt.

Für den Buchhändler und Verleger Robert Ivancich gestaltet sich die Lage ähnlich. „Ich sehe die Digitalisierung in der Branche als eine Online-Filiale. Tatsächlich ist die Web­site unserer Buchhandlungen im vergangenen Jahr explodiert, wir haben die ganze Seite auch auf neue Füße gestellt.“ Besonders erfreulich war der hohe Anteil der Kund*innen, die den Click&Collect-Service genutzt haben. Laut Ivancich machten sie immerhin zwei Drittel aller Bestellungen aus. „Das Abholen bewerben wir auf unserer Homepage massiv. Es ist die ideale Ergänzung.“ Eigene digitale Wanderkarten oder Apps sind beim Kral Verlag nicht geplant. „Dafür ist der Verlag zu klein. So etwas ist ein großes Investment. Die Menschen sind nicht gewohnt, für digitale Dienste Geld zu bezahlen“, zeigt er sich skeptisch. „Die Kosten dafür rechnen sich bei Preisen von 20-Euro-Wanderführern nicht. Dafür müssten wir pro Titel 20.000 oder 30.000 Stück verkaufen, das ist unrealistisch. Wir verkaufen im Schnitt 1.500 oder manchmal 2.000 Stück. Daher können sich das nur die großen Player leisten. Ich frage mich auch: Ist das überhaupt notwendig? Aus meiner Sicht haben Google und Co. die Kartenbranche ruiniert.“

SO GEHT DIE REISE WEITER: MEHR EMOTIONALITÄT
Der Markt profitiert von Outdoor-Trends. Dabei scheint eines immer zentraler zu werden: ein eigener Markenkern. So werden Titel und Inhalte immer emotionaler. Oder wie es Elisabeth Blasch ausdrückt: „Als Styria Verlag in der Verlagsgruppe Styria sind wir mit ganzem Herzen ein Regionalverlag – im besten Sinne, wie wir hoffen. Wir wollen Regionen und Städte spürbar, erfahrbar machen, kulturell, sportlich – und nicht zuletzt kulinarisch.“ Blasch erklärt weiter: „Aktuell fokussieren wir uns in der Programmarbeit vor allem darauf, dass unsere Bücher als solche ihren ganz eigenen haptischen, sinnlichen Mehrwert haben. Dafür arbeiten wir stark in Richtung Emotionalisierung sowie konzept- und zielgruppenorientiertes ­Denken.“

Dieser Schritt ist auch für Michael Schröder­ essenziell. „Bei Kompass sind wir groß geworden mit Wanderkarten, haben dann mit Wanderführern angefangen und gehen jetzt in die Richtung Emotionalität.“ Mit einer neuen Wachstumsstrategie will er mit Kompass nun in die Warengruppe Sport- und Aktivreisen investieren. In den kommenden drei Jahren sollen jährlich neue Reihen für spezielle Zielgruppen realisiert werden. „Die Marktveränderung ist für mich zentral: Wir haben funktionale Produkte, das heißt, wir müssen viel mehr mit emotionalen USPs, herausragendem Design und Kontextualisierung arbeiten. ‚Von Innsbruck zum Brenner‘ reicht als Titel heute zum Beispiel nicht mehr.“

Hierbei hat sich Corona als Katalysator für einen Trend gezeigt, den Schröder schon vorher beobachtet hatte: „Gesellschaftliche Trends wie die Work-Life-Balance, Klimaveränderung, Trendsportarten wie Stand-Up-Paddling oder E-Biking bringen mehr Möglichkeiten, neue Zielgruppen zu erschließen. Zwar hat sich die Entwicklung hier seit Corona noch verstärkt, aber der Outdoor-Boom war schon vorher da. Ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt.“

 

(c) Georg Feierfeil
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