Anzeiger 4/2021 – Made or Unmade in Germany?

Der österreichischen Buchbranche würde ohne dem deutschen Markt eine ihrer Lebensadern fehlen. Was tun österreichische Verlage, um dort zu bestehen?


Text: Tobias Schmitzberger

Manchmal sagen Zahlen mehr als Worte, selbst in der Buchbranche. Das gilt etwa dann, wenn es um die Bedeutung des deutschen Buchmarktes für die österreichische Verlagsbranche geht. Der anzeiger hat dazu sechs Interviews mit heimischen Verlegerinnen und Verlegern geführt, die sich auch in Deutschland erfolgreich behaupten.
Das Ergebnis: Zwischen 45 und 70 Prozent ihres Umsatzes erwirtschaften diese Unternehmen in unserem Nachbarland. Das mag auf den ersten Blick überraschen, immerhin stammt nicht einmal ein Prozent der Bücher in deutschen Buchhandlungen von österreichischen Verlagen. Doch der deutsche Markt ist vor allem wegen seiner Größe deutlich aufnahmefähiger: 2019 wurden in Österreich ungefähr 24 Millionen Bücher via stationärem Handel und Onlineversand verkauft, während es im selben Jahr 303 Millionen Titel auf dem deutschen Publikumsmarkt waren.
Gleichzeitig konkurrieren die österreichischen Verlage in Deutschland noch stärker mit den vielen deutschen Verlagen und Großkonzernen. Wie schafft man es als Klein- oder Mittelverlag trotzdem in die Buchhandlungen? Was kann man tun, um neben der umsatz- und werbestarken Konkurrenz nicht zu verblassen? Es zeigt sich, dass am deutschen Markt drei klassische Verleger*innen-Tugenden besonders gefragt sind: Ein langer Atem, eine klare Programm­idee und keine Scheu vor persönlichem ­Kontakt.

DEUTSCHSPRACHIGE BUCHHÄNDLER*INNEN NACH ÖSTERREICH EINLADEN
Kurt von Hammerstein hat einen positiven Eindruck vom österreichischen Verlagswesen. Der Berliner Buchhändler betreibt seinen Laden „Hundt Hammer Stein“ unweit des Prenzlauer Bergs, hier findet man neben ausgewählter internationaler und deutscher Literatur auch eine große Auswahl an Indiebooks. „Inhaltlich habe ich wenig an den österreichischen Verlagen auszusetzen“, sagt von Hammerstein: „Die Verlagslandschaft in Österreich scheint mir breit und divers.“

Ein Problem in Deutschland sei aber ihre Sichtbarkeit, ergänzt er: „Als fauler Buchhändler guckt man sich keine Verlage oder Kataloge an, von denen man noch nie zuvor gehört hat.“ Das trifft vor allem Klein- und Mittelverlage. Trotzdem wird im Gespräch rasch klar, dass von Hammerstein über österreichische Verlage gut informiert ist: Egal ob Milena, Braumüller, Picus, Residenz oder Haymon, er nennt und kennt sie alle. Woher? „Weil ich einmal für einen Buchhandelsworkshop in Wien war.“

Organisiert wurde diese Tagung von der Arbeitsgemeinschaft Österreichische Privatverlage (ARGE), ihr Sprecher ist Alexander Potyka vom Picus Verlag. „Wir laden zweimal im Jahr rund zwanzig deutsche und schweizerische Buchhändler*innen nach Wien ein“, erzählt er. Während des mehrtägigen Programms besuchen sie Kulturinstitutionen wie das Literaturhaus Wien ebenso wie einen Heurigen oder Lesungen österreichischer Autor*innen. Außerdem erhalten die teilnehmenden ARGE-Verlage einen Slot, um ihr Programm zu präsentieren. Die Idee dahinter: „Wir betreiben emotionales Marketing“, so Potyka.

Denn letztlich entscheiden einzelne Buchhändler*innen jeden Tag aufs Neue, welche Bücher sie weiterempfehlen. Das gilt in Deutschland ebenso wie in Österreich, wobei Picus in Deutschland etwa 65 Prozent seiner Bücher verkauft. „Wir sahen uns von Anfang an als deutschsprachiger und nicht als österreichischer Verlag“, so Potyka. Gerade für kleine und mittlere Verlage sei es wichtig, auf der persönlichen Ebene zu punkten – und deshalb lade die ARGE die Buchhändler*innen nach Wien ein: „Wenn diese Sortimenter*innen später eine Vorschau zugeschickt bekommen, denken sie sich vielleicht: ‚Ach, die ist ja von dem Verleger mit dem langen Zopf!‘ und blättern eher durch. Dadurch wird man die Umsätze nicht vervielfachen, aber auf lange Sicht zahlt sich das aus.“

KLARES PROFIL, PERSÖNLICHES MARKETING UND VERLAGSVERTRETER*INNEN
Das bestätigt indirekt auch Klaus Bittner, dessen auf hochwertige Literatur spezialisierte Kölner Buchhandlung bereits viermal mit dem deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet wurde. Auch er war vor einigen Jahren bei einem dieser Seminare in Wien, erzählt er: „Ich kenne viele Kolleg*innen, die dort Freundschaften geschlossen und neue Verlage kennengelernt haben.“ Auch er lobt die österreichische Verlagslandschaft: „Ich finde die Einzelpublikationen zum Großteil sehr interessant. Vielleicht ermutigt das österreichische System der Verlagsförderung zu den vielen innovativen Titeln.“

Persönlicher Kontakt spielt auch für Reto Ziegler von der Edition Korrespondenzen eine große Rolle. Das Verlagsprogramm enthält viel Lyrik, vor allem auch zweisprachige Bände. Außerdem verlegt man hier Bücher, die sich „zwischen den Genres bewegen“. Dass die Zielgruppe für diese Sparte nicht ausufernd groß ist, überrascht kaum  – umso wichtiger wird der deutsche Markt. „Im Schnitt verkaufe ich für ein Buch in Österreich sieben Bücher in Deutschland und der Schweiz“, so der Verleger.

Für die österreichischen Verlage, deren Marketingbudget begrenzt ist, spielen in unserem Nachbarland die Vertreter*innen eine besonders wichtige Rolle. So hat Ziegler etwa drei Vertreter*innen in Deutschland, während es in Österreich zwei und in der Schweiz eine sind: „Gute Vertreter*innen haben auch andere Verlage im Programm, die sich mit dem meinigen überschneiden.“ Nur so kämen seine Texte auch in die Buchhandlungen seiner Zielgruppe.

KLEINE DEUTSCHE BUCHMESSEN, NISCHENSPITZE, REGIONALITÄT
Eine spezielle Rolle spielen für Ziegler auch deutsche Buchmessen, wobei er sich dabei nicht auf Frankfurt und Leipzig beschränkt. „In Deutschland gibt es viele kleinere Messen in Literaturhäusern, die Freude an Kleinverlagen wie meinem haben.“ Als Beispiel nennt er die Messe des Hauses für Poesie, die im Rahmen des jährlich stattfindenden poesiefestival berlin stattfindet. Hier lernt Ziegler nicht nur spannende Kolleg*innen kennen, sondern gewinnt regelmäßig neue Leser*innen hinzu – die sich später langfristig für sein Verlagsprogramm interessieren.

Langfristigkeit wird auch beim Brandstätter Verlag großgeschrieben, allerdings zielt das Wort dabei auf eine andere Ebene ab. Über Jahre hinweg hat sich Brandstätter in Deutschland eine starke Marktposition im Kochbuchsegment erarbeitet und gehört dort zu den Premium-Verlagen dieser Sparte. „Wir werden hier marktneutral als deutschsprachiger Verlag wahrgenommen“, sagt Verlagsleiter Nikolaus Brandstätter. Spätestens seit den 2010er-Jahren hat man in diesen Bereich verstärkt hineininvestiert und dadurch sukzessive starke deutsche Autor*innenmarken wie den Rezeptentwickler Stevan Paul und die ARD-Köchin Theresa Baumgärtner aufgebaut.
„Der stete Tropfen höhlt den Stein“, sagt Brandstätter, der künftig auch im Sachbuchbereich verstärkt am deutschen Markt auftreten möchte. Dabei baut man auf die Erfahrungen im Kochbuchsegment: „Das passierte nicht von heute auf morgen, sondern dauerte Jahre, Jahrzehnte. Es ist alles andere als einfach, deutsche Sachbuchautor*innen davon zu überzeugen, ihre Bücher von einem österreichischen Verlag verlegen zu lassen.“

Gerade Letzteres sei aber nötig, weil im Sachbuchmarkt Regionalität sehr relevant ist. Daher ist es nötig, den einen oder anderen Bestseller zu landen – solche Referenzen erleichtern es, weitere Autor*innen zu akquirieren. „In der ersten Phase bin ich deshalb zufrieden, wenn wir den deutschen Sachbuchmarkt mit ein bis zwei Titeln pro Jahr signifikant durchdringen“, so Brandstätter.

WIEDERERKENNUNGSWERT, STALLKONKURRENZ, MEDIENWIRKSAME AUTOR*INNEN
Solche Strategien erfordern Weitblick – und diesen nimmt Buchhändler von Hammerstein generell bei vielen österreichischen Verlagen wahr. „Wenn ich zum Beispiel an den Braumüller Verlag denke: Die haben einen ganz eigenen Stil, den ich ad hoc wiedererkenne und schätze. Vielleicht kommen zwischendurch neue Autorinnen und Autoren mit anderen Blickwinkeln hinzu, aber ich weiß, dass der Anspruch des Verlags derselbe­ bleibt.“ Auch Serien, die konsequent fortgesetzt werden, schätzt von Hammerstein: „Der Residenz Verlag ist ein gutes Beispiel. Die haben tolle Sachbuchreihen mit einem hohen Wiedererkennungswert.“

Gemeint ist dabei etwa die Reihe „Unruhe bewahren“, die Residenz seit 2010 herausgibt. Diese Serie ist nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland erfolgreich, wie die Verlagsleiterin Claudia Romeder bestätigt: „Viele Buchhändler*innen füllen die Schaufenster mit diesen Büchern, weil ihre Ästhetik eine repräsentative Wirkung hat. Damit haben wir das ungeliebte Genre ‚Essay‘ am Markt etabliert.“

Einige Titel dieser Serie funktionieren in Deutschland besonders gut, zuletzt feierte etwa der Text „Unverfügbarkeit“ des deutschen Soziologen Hartmut Rosa großen Erfolg. Einerseits spielen laut Romeder die Inhalte im Sachbuchbereich eine entscheidende Rolle: „Allgemeine Themen wie ‚Feminismus‘ oder ‚Kapitalismus‘ funktionieren in Deutschland, Österreich und der Schweiz gleichermaßen.“ Andererseits aber war das Buch von Rosa in der Öffentlichkeit stärker präsent, weil der Autor in den deutschen Medien stark rezipiert wurde – Stichwort Regionalität.

Für österreichische Verlage ist es oft nicht einfach, in deutschen Medien Widerhall zu finden, vor allem in der Belletristik. „Wenn man hier keine starken Verkaufsargumente hat, Lesereisen organisiert und einen fixen Presse- und Werbeplan erstellt, wird es sehr schwierig“, sagt Herbert Ohrlinger von Zsolnay. Der 1924 gegründete Verlag gehört zwar seit 1996 zu Hanser, ist aber anders als etwa der Newcomer Hanser Berlin kein Imprint. Stattdessen sei man „eine österreichische GmbH, die auch hier bilanziert“, betont der Verlagsleiter. Obwohl man sicher einen gewissen Vorteil habe, müsse man jede Saison aufs Neue hart um die Plätze im Sortiment kämpfen. „Unsere Vertreter haben alle unsere Verlage in der Tasche, vom Kinderbuch bis zur Edition Akzente. Das ist auch ein Verteilungskampf, so wie in der Formel 1: Der erste Konkurrent ist der Stallkonkurrent.“

Hilfreich sind daher medienwirksame Autoren, zuletzt etwa Lisa Eckhart. „Vergangenes Jahr haben wir auf ‚Omama‘ gesetzt, großzügig Leseexemplare verteilt und sowohl Branchen- als auch Publikumswerbung gemacht.“ Die „lächerliche Skandalisierung“ in der Berichterstattung habe dann den „Turbo angeworfen“, so Ohrlinger: „Lisa Eckhart ist eine extrem disziplinierte und reflektierte Autorin, die die vielen Interviews und Medienauftritte auf eine souveräne Art absolviert hat. Es ist erfreulich, in einer derart schwierigen Zeit mit so jemandem zu arbeiten. Und trotz vieler Abwerbeversuche von sehr potenten deutschen Verlagen konnten wir uns rasch auf einen neuen Vertrag einigen.“

PERSÖNLICHE PRESSEARBEIT, PREISTRÄGER UND GUTE BÜCHER
Auch in der Pressearbeit sind es vor allem persönliche Kontakte, die weiterhelfen können – das gilt für österreichische Verlage in Deutschland vielleicht besonders stark. Das weiß auch Anna Jung vom Jung und Jung Verlag: „Das Wichtigste ist die persönliche Begegnung. Man darf sich nicht scheuen und muss in der Pressearbeit persönlich auftreten.“ Als Presseverantwortliche absolviert sie für Jung und Jung Pressereisen und trifft Journalist*innen persönlich, hinzu kommen Begegnungen und Termine bei den Buchmessen: „Solche Auftritte färben auf den Verlag ab und bleiben in Erinnerung. So wird man langfristig eher wahrgenommen.“

Geholfen hat Jung und Jung zudem, dass zwei seiner Bücher 2010 sowie 2012 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurden. „Wir waren danach eine größere Nummer“, so Anna Jung. Neben stark erhöhten Absatzzahlen bewirkten die Preise, dass Jung und Jung deutlich stärker als deutschsprachiger statt als österreichischer Verlag wahrgenommen wurde. Dies schlug sich etwa in den eingesandten Manuskripten nieder, zusätzlich bekam man auch Anfragen von renommierten Autor*innen, die den Verlag wechseln wollen.

Am Ende, so der Kölner Buchhändler Bittner, zählt für ihn aber etwas anderes, Grundsätzlicheres. „Hauptsache, die Verlage machen gute Bücher!“, so Bittner: „Dann ist es mir egal, ob ihr Sitz in München, Salzburg oder Stuttgart ist.“ Zwar müssen die Verleger*innen in Deutschland vielleicht einige verlegerischen Aspekte besonders beherzigen: Der Aufbau persönlicher Kontakte zu Buchhändler*innen und Journalist*innen gehört dazu ebenso wie die konsequente Einhaltung der Programmstringenz sowie gründliche Überlegungen, mit welchen Titeln man wie in den deutschen Markt eintreten kann. Aber wenn es nach Bittner geht, machen die österreichischen Verlage dabei aktuell wenig falsch: „Ich bin zufrieden mit ihren Büchern, es gibt nichts, was ich vermisse. Von mir aus können sie so weitermachen wie bisher!“

(c) Georg Feierfeil
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