Skip to content

ORF Bestenliste April

Im April 2025 klettert Martin Prinz mit „Die letzten Tage“ (Jung und Jung) auf Platz 1 der ORF-Bestenliste. „Es werden schöne Tage kommen“ (dtv) von Zach Williams kommt auf den 2. Platz. Den 3. Platz erreicht Anna Weidenholzer mit „Hier treibt mein Kartoffelherz“ (Matthes & Seitz Berlin).

Platz 1: Martin Prinz: „Die letzten Tage“, Jung und Jung

Heuer jährt sich das Ende des 2. Weltkriegs zum 80. Mal. Die letzten Wochen des sogenannten Dritten Reichs waren bekanntlich von Chaos und Gewaltexzessen geprägt. Mit einem dieser sogenannten „Endphaseverbrechen“ hat sich der österreichische Autor Martin Prinz in seinem neuen Roman „Die letzten Tage“ beschäftigt. Die Hauptrolle spielt dabei ein Aktenberg aus dem Wiener Stadt und Landesarchiv: Akribisch ist darin der Prozess gegen Johann Braun, den NSDAP-Kreisleiter Neunkirchen, dokumentiert. Im April 1945 errichtete dieser in der Region Rax/Schneeberg ein Standgericht, als dessen selbsternannter Richter er insgesamt 29 Menschen exekutieren ließ. Willkürlich entschied der gelernte Bäcker-Gehilfe mit seinen Schergen über Leben und Tod, machte Jagd auf Fahnenflüchtige und sonstige politisch unliebsame Personen – und dass, während die russische Armee stündlich vorrückte und sich der Untergang des deutschen Reichs überdeutlich abzeichnete. Bewusst hat Prinz die Geschichte nah an den historischen Gerichtsakten erzählt, um so die Sprache, mit der die Täter ihr Vorgehen rechtfertigen, vorzuführen. Der Roman zeigt eindrücklich, wie sich diese in Passivkonstruktionen und Konjunktiven versuchen aus der Verantwortung zu ziehen und bis zuletzt überzeugt davon sind, bloß ihre Pflicht getan zu haben.

Platz 2: Zach Williams: „Es werden schöne Tage kommen“, dtv

In den USA gilt Zach Williams als die Entdeckung der letzten Jahre. Zwar ist der 1978 geborene Williams gewissermaßen ein Spätzünder – mit über 40 veröffentlichte er seinen ersten Text – seither geht es mit seiner Karriere jedoch steil bergauf. Er veröffentlichte Kurzgeschichten in den renommierten Zeitschriften „Paris Review“ und „The New Yorker“, 2024 erschien schließlich sein erster Erzählband. „Es werden schöne Tage kommen“ hat am amerikanischen Buchmarkt einen regelrechten Hype ausgelöst, auch, weil der ehemalige US-Präsident Barack Obama das Buch auf seine „Summer Reading List“ gesetzt hat. Die deutsche Übersetzung von Clemens Setz und Bettina Abarbanell sorgt im deutschsprachigen Feuilleton für nicht weniger Euphorie. Im Zentrum von Williams‘ Geschichten steht das Unheimliche: der scheinbar normale Alltag seiner Figuren wird durch groteske Ereignisse gestört, sie werden durch seltsame Situationen aus ihren vertrauten Bahnen geworfen. Da wächst etwa einem Kind ein zusätzlicher Zeh und der Vater verliert sich in Selbstvorwürfen. Ein andres Kind hört einfach auf zu altern, während der Rest der Familie dem Zahn der Zeit ausgesetzt bleibt. Einige Figuren finden sich plötzlich in dystopischen Szenarien wieder, wie einem leeren Bürokomplex, um den herum ein Schneesturm tobt. Überall lauert eine diffuse Gefahr, ein nicht klar zu benennbares Unbehagen zieht sich durch alle Geschichten, einzig der absurde Witz der Erzählungen bringt Erleichterung. Ein fulminantes Debüt, mit dem Williams einerseits unsere immer skurriler werdende Gegenwart einfängt und sich gleichzeitig in eine Tradition einreiht, die von E. T. A. Hoffmann bis David Lynch reicht.

Platz 3 : Anna Weidenholzer: „Hier treibt mein Kartoffelherz“, Matthes & Seitz Berlin

Nach der Veröffentlichung ihres Debüts „Der Platz des Hundes“ im Jahr 2010 wurde die 1984 in Linz geborene Anna Weidenholzer zu einer der großen Nachwuchshoffnungen der österreichischen Literaturszene erklärt. In kurzen Abständen folgten gleich drei Romane, die vom deutschsprachigen Feuilleton umjubelt und mit Nominierungen für die großen deutschen Buchpreise belohnt wurden. Nach einer mehr als 6-jährigen Pause macht Weidenholzer mit einem neuen Erzählband auf sich aufmerksam, er trägt den Titel „Hier treibt mein Kartoffelherz“. Der Band ist eine Ode an die kurze Form: Gegliedert in 4 den Jahreszeiten nachempfundene Kapitel wechseln sich längere Erzählungen mit nur wenigen Sätzen umfassenden Skizzen ab, mal werden Geschichten erzählt, mal Beobachtungen festgehalten. Weidenholzers Figuren sind zartbesaitete Wesen mit rissigen Nervenkostümen, die jede Kleinigkeit aus der Bahn zu werfen droht. Da gibt es den spätherbstlichen Feriengast, der dann kommt, wenn alle weg sind, und auf Veränderungen geradezu allergisch reagiert. Oder die Umweltaktivistin, die sich so manisch für die Baumfürsorge einsetzt, dass man sich zu fragen beginnt, wer hier eigentlich Schutz braucht. Die hochverdichteten Texte lassen sich eigenständig lesen und sind doch lose miteinander verbunden, ähnlich einem literarischen Wimmelbild, wo jede Szene in einem größeren Ganzen aufgeht.

Die gesamte ORF-Bestenliste finden Sie hier.

Werbung
WdB flieder