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ORF Bestenliste Juni

Im Juni 2025 klettert Verena Stauffer mit „Kiki Beach“ (kookbooks) auf Platz 1 der ORF-Bestenliste. „Stehlen, Schimpfen, Spielen“ (Rowohlt Hundert Augen) von Barbi Marković kommt auf den 2. Platz. Den 3. Platz erreichen ex aequo Anna Weidenholzer mit „Hier treibt mein Kartoffelherz“ (Matthes & Seitz) und Colette mit „Claudines Elternhaus“ (Zsolnay).

Platz 1: Verena Stauffer: „Kiki Beach“, kookbooks

Im deutschsprachigen Literaturbetrieb ist die zeitgenössische Lyrik zu einem absoluten Nischenprodukt geworden. Nur wenigen Autoren und Autorinnen gelingt es heutzutage mit Lyrikbänden größere Resonanz zu erzeugen, eine von ihnen: die 1978 in Oberösterreich geborene Schriftstellerin Verena Stauffer. Bereits ihr Band „Ousia“ hat 2020 für Aufsehen gesorgt, nicht zuletzt durch die Nominierung für den Österreichischen Buchpreis. Nun legt sie ihren neuen Gedichtband „Kiki Beach“ vor. Stauffer widmet sich darin einem Genre, das in den vergangenen Jahrzehnten völlig aus der Mode gekommen ist, weil es oft als „Frauenliteratur“ abgestempelt wurde: die Liebeslyrik. Behutsam wird in „Kiki Beach“ das Genre ins Jetzt und Heute navigiert, ohne jemals den gigantischen historischen Referenzraum zu vergessen, aus dem es sich speist. Lustvoll spielt Stauffer mit dem modernen Dating-Jargon: Da wird auf „Situationships“ gesegelt, da wird gebannt auf die verheißungsvollen „Screens“ gestarrt, auf denen sich Liebesbeziehungen durch die Popularität von Online-Dating abspielen. Aber auch Aphrodite lässt grüßen, oder der Phallus des Uranos, wenn auch in Gestalt eines Dildos namens „Randy Rabbit“. Weniger als um die eine große Liebe geht es in Stauffers Gedichten um die Magie, die hinter jedem Kennenlernen steckt. Jenseits der Euphorie und den Schmetterlingen im Bauch werden zwischenmenschliche Beziehungen auch zu einem Schutzschild gegen das Chaos des Weltgeschehens.

Platz 2: Barbi Marković: „Stehlen, Schimpfen, Spielen“, Rowohlt Hundert Augen

In der hiesigen Literaturszene wird Barbi Marković schon seit ihrem Debütroman „Ausgehen“ für ihren eigenwilligen Sprachwitz verehrt. Am deutschen Markt galt die 1980 in Belgrad geborene und seit 2006 in Wien lebende Schriftstellerin lange als Geheimtipp. Mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2024 für den Erzählband „Mini Horror“ hat nun auch der gesamte deutsche Sprachraum verstanden: Barbi Marković ist eine der originellsten Stimmen der gegenwärtigen Literatur. In ihrem neuen Buch „Stehlen, Schimpfen, Spielen“ gewährt uns Marković einen Blick in den Maschinenraum ihrer Literatur. Der Ausgangspunkt: Eine Poetik-Vorlesung soll geschrieben werden, die Deadline rückt unbemerkt näher und plötzlich realisiert Barbi Marković, dass ihr noch satte 13 Tage bis zur Abgabe bleiben. Während die Autorin panisch versucht sich eine super-gescheite, originelle Poetikvorlesung aus den Fingern zu saugen, lässt sie ihre schriftstellerische Karriere Revue passieren, um zum Schluss zu kommen, dass ihre literarische Praxis eben aus Stehlen, Schimpfen und Spielen besteht. Da ist der legendäre „Diebstahl“ an Thomas Bernhard, dessen Erzählung „Gehen“ sie absichtlich falsch übersetzt und als „Ausgehen“ in die Belgrader Clubszene versetzt hat. Die poetischen Schimpftiraden im Roman „Die verschissene Zeit“. Oder das Rollenspiel, das sie eigens entwickelt hat, um „Die Verschissene Zeit“ zu schreiben. Ein hochunterhaltsamer Text über das Schreiben.

Platz 3 (ex aequo): Anna Weidenholzer: „Hier treibt mein Kartoffelherz“, Matthes & Seitz

Nach der Veröffentlichung ihres Debüts „Der Platz des Hundes“ im Jahr 2010 wurde die 1984 in Linz geborene Anna Weidenholzer zu einer der großen Nachwuchshoffnungen der österreichischen Literaturszene erklärt. In kurzen Abständen folgten gleich drei Romane, die vom deutschsprachigen Feuilleton umjubelt und mit Nominierungen für die großen deutschen Buchpreise belohnt wurden. Nach einer mehr als 6-jährigen Pause macht Weidenholzer mit einem neuen Erzählband auf sich aufmerksam, er trägt den Titel „Hier treibt mein Kartoffelherz“. Der Band ist eine Ode an die kurze Form: Gegliedert in 4 den Jahreszeiten nachempfundene Kapitel wechseln sich längere Erzählungen mit nur wenigen Sätzen umfassenden Skizzen ab, mal werden Geschichten erzählt, mal Beobachtungen festgehalten. Weidenholzers Figuren sind zartbesaitete Wesen mit rissigen Nervenkostümen, die jede Kleinigkeit aus der Bahn zu werfen droht. Da gibt es den spätherbstlichen Feriengast, der dann kommt, wenn alle weg sind, und auf Veränderungen geradezu allergisch reagiert. Oder die Umweltaktivistin, die sich so manisch für die Baumfürsorge einsetzt, dass man sich zu fragen beginnt, wer hier eigentlich Schutz braucht. Die hochverdichteten Texte lassen sich eigenständig lesen und sind doch lose miteinander verbunden, ähnlich einem literarischen Wimmelbild, wo jede Szene in einem größeren Ganzen aufgeht.

Platz 3 (ex aequo): Colette: „Claudines Elternhaus“, Zsolnay

Sidonie Gabriel Claudine Colette – kurz „Colette“ genannt – ist eine der schillerndsten Figuren der französischen Literaturgeschichte. 1873 in Burgund geboren, heiratete sie mit 19 Jahren den wesentlich älteren Schriftsteller Monsieur Willy. Unter dessen Namen begann Colette die legendären Claudine-Romane zu schreiben, Bücher über ein junges Mädchen aus der französischen Provinz, die zu einem gigantischen Erfolg wurden. Nach der Scheidung von Willy folgte eine Karriere als Varieté-Tänzerin und ab Ende der 1910er Jahre schließlich der Durchbruch als Schriftstellerin, als die sie von Zeitgenossen wie Marcel Proust oder André Gide aufs höchste bewundert wurde. In diese Zeit fällt auch die Veröffentlichung des Buchs „Claudines Elternhaus“, das nun in neuer Übersetzung vorliegt. Colette erzählt darin ihre eigene Geschichte: Alles dreht sich um das Aufwachsen im ländlichen Burgund, eine Umgebung, in die ihre Familie durch die Belesenheit der Eltern und ihre ungewöhnlich selbstständige Mutter nicht recht hineinzupassen scheinen. Ein Roman, der auch mehr als 100 Jahre später keinerlei Staub angesetzt hat.

Die gesamte ORF-Bestenliste finden Sie hier.

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