Im Juli 2025 klettert Marlene Streeruwitz mit „Auflösungen.“ (S. Fischer) auf Platz 1 der ORF-Bestenliste. „Stehlen, Schimpfen, Spielen“ (Rowohlt Hundert Augen) von Barbi Marković kommt auf den 2. Platz. Den 3. Platz erreicht Esther Kinsky mit „Heim.Statt“ (Suhrkamp).
Platz 1: Marlene Streeruwitz: „Auflösungen.“, S. Fischer
Im Schreiben eine eigene Sprache finden, eine Sprache, die frei ist von patriarchalen Strukturen: das war das literarische Ziel von Marlene Streeruwitz von Beginn an. Anfang der 1990er-Jahre machte sie zunächst mit Theaterstücken auf sich aufmerksam, Texte von außergewöhnlicher Sprache und Form. Inzwischen zählt die 1950 in Baden bei Wien geborene Marlene Streeruwitz zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen der Gegenwart, im Juni feierte sie ihren 75. Geburtstag. Streeruwitzs gesamtes literarisches Werk beschäftigt sich in seinem Kern mit der Frage, wie es gelingen kann, ein freies Leben zu führen und darum, welche gesellschaftlichen Bedingungen es verunmöglichen, selbstbestimmt, frei und erfüllt zu leben – zumal für Frauen. Das gilt auch für ihren neuen Roma „Auflösungen“, in dem Streeruwitz einen Blick auf den gegenwärtigen Zustand der USA wirft. Erzählt wird aus der Perspektive einer Wiener Lyrikerin, die im Rahmen eines Lehrauftrags ein Semester in New York verbringt. Es ist der Frühling 2024, die Lage im Land hat sich seit der Pandemie drastisch zugespitzt und das Prekariat hält die Menschen fest im Griff: Das glorreiche Kulturleben ist einem schieren Überlebenskampf gewichen, Manhattan zu einem Ort geworden, an dem man sich Wohnraum allein durch Arbeit nicht mehr leisten kann. „Auflösungen“ liest sich wie ein trauriger Abschied an eine Stadt, die nicht nur für Streeruwitz lange ein Sehnsuchtsort war.
Platz 2: Barbi Marković: „Stehlen, Schimpfen, Spielen“, Rowohlt Hundert Augen
In der hiesigen Literaturszene wird Barbi Marković schon seit ihrem Debütroman „Ausgehen“ für ihren eigenwilligen Sprachwitz verehrt. Am deutschen Markt galt die 1980 in Belgrad geborene und seit 2006 in Wien lebende Schriftstellerin lange als Geheimtipp. Mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2024 für den Erzählband „Mini Horror“ hat nun auch der gesamte deutsche Sprachraum verstanden: Barbi Marković ist eine der originellsten Stimmen der gegenwärtigen Literatur. In ihrem neuen Buch „Stehlen, Schimpfen, Spielen“ gewährt uns Marković einen Blick in den Maschinenraum ihrer Literatur. Der Ausgangspunkt: Eine Poetik-Vorlesung soll geschrieben werden, die Deadline rückt unbemerkt näher und plötzlich realisiert Barbi Marković, dass ihr noch satte 13 Tage bis zur Abgabe bleiben. Während die Autorin panisch versucht sich eine super-gescheite, originelle Poetikvorlesung aus den Fingern zu saugen, lässt sie ihre schriftstellerische Karriere Revue passieren, um zum Schluss zu kommen, dass ihre literarische Praxis eben aus Stehlen, Schimpfen und Spielen besteht. Da ist der legendäre „Diebstahl“ an Thomas Bernhard, dessen Erzählung „Gehen“ sie absichtlich falsch übersetzt und als „Ausgehen“ in die Belgrader Clubszene versetzt hat. Die poetischen Schimpftiraden im Roman „Die verschissene Zeit“. Oder das Rollenspiel, das sie eigens entwickelt hat, um „Die Verschissene Zeit“ zu schreiben. Ein hochunterhaltsamer Text über das Schreiben.
Platz 3: Esther Kinsky: „Heim.Statt“, Suhrkamp
Die Peripherien dieser Welt, sie prägen das Werk der Schriftstellerin und Übersetzerin Esther Kinsky. In ihren zahlreichen Romanen, Essays und Gedichtbänden rückt sie dasjenige ins Zentrum, was an den äußersten Rändern unserer Wahrnehmung sein Dasein fristet. Oft steht dabei die Natur im Fokus, die bei Kinsky jedoch nicht als idyllischer Rückzugsort oder Gegenpol zum menschlichen Alltag verstanden wird, sondern als mit dem Menschen auf tiefste verbundener Lebensraum. Das gilt auch für ihren Gedichtband „Heim.Statt“. In insgesamt sieben Langgedichten wird die Natur hier zwar in ihrer ganzen Schönheit lautmalerisch heraufbeschworen, gleichzeitig bleibt sie stets auch Schauplatz menschlicher Tragödien. Verankert zwischen Antike und Gegenwart, Mythos und Realität, kreisen Kinskys Gedichte um Flucht, Vertreibung und Abwanderung – und folgen der Balkanroute vom historischen Thrakien bis ins heutige Serbien.
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