Im August 2025 klettert Georgi Gospodinov mit „Der Gärtner und der Tod“ (Aufbau Verlag) auf Platz 1 der ORF-Bestenliste. „Auflösungen.“ (S. Fischer) von Marlene Streeruwitz kommt auf den 2. Platz. Den 3. Platz erreicht Didi Drobna mit „Ostblockherz“ (Piper).
Platz 1: Georgi Gospodinov: „Der Gärtner und der Tod“, übersetzt von Alexander Sitzmann, Aufbau Verlag
Spätestens seit Georgi Gospodinov 2023 für seinen Roman „Zeitzuflucht“ mit dem International Booker Price ausgezeichnet wurde, gilt der 57-Jährige als Aushängeschild der bulgarischen Gegenwartsliteratur. In dem Buch beschrieb der Autor eine sogenannte „Klinik für die Vergangenheit“, eine Einrichtung, in der Alzheimer-Patienten Zuflucht suchen und in der Zeit leben können, in der sie meinen zu sein. Sein neues Buch „Der Gärtner und der Tod“ ist in gewisser Weise eine autobiographische Ergänzung, denn darin hat Gospodinov seinem Vater ein Denkmal gesetzt, dem bereits eine der Figuren seines Erfolgsromans nachempfunden war. „Mein Vater war Gärtner. Jetzt ist er ein Garten“, heißt es am Anfang dieses wunderbaren Notizbuchs aus Erinnerungen, das den Erzählfluss immer wieder unterbricht und neu ansetzt. Der Garten, so erfahren wir, hat dem Vater vor Jahren über ein schweres Krebsleiden hinweggeholfen, seither liebt der alte Herr nichts mehr, als mit beiden Händen in der Erde zu stecken und Blumen, Gemüse und Kräuter anzubauen. Doch nach einem Besuch beim Arzt versprechen die neuen Befunde nichts Gutes: der Held dieser Geschichte, so viel verrät der Ich-Erzähler, wird nicht überleben. Während es in der Literaturgeschichte etliche Beispiele von Abrechnungen mit dem eigenen Vater gibt, liefert Gospodinov hier einen Gegenentwurf: „Der Gärtner und der Tod“ ist ein zärtliches Abschiedsbuch, voller Witz und kluger Gedanken über den Tod der eigenen Eltern.
Platz 2: Marlene Streeruwitz: „Auflösungen.“, S. Fischer
Im Schreiben eine eigene Sprache finden, eine Sprache, die frei ist von patriarchalen Strukturen: das war das literarische Ziel von Marlene Streeruwitz von Beginn an. Anfang der 1990er-Jahre machte sie zunächst mit Theaterstücken auf sich aufmerksam, Texte von außergewöhnlicher Sprache und Form. Inzwischen zählt die 1950 in Baden bei Wien geborene Marlene Streeruwitz zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen der Gegenwart, im Juni feierte sie ihren 75. Geburtstag. Streeruwitzs gesamtes literarisches Werk beschäftigt sich in seinem Kern mit der Frage, wie es gelingen kann, ein freies Leben zu führen und darum, welche gesellschaftlichen Bedingungen es verunmöglichen, selbstbestimmt, frei und erfüllt zu leben – zumal für Frauen. Das gilt auch für ihren neuen Roma „Auflösungen“, in dem Streeruwitz einen Blick auf den gegenwärtigen Zustand der USA wirft. Erzählt wird aus der Perspektive einer Wiener Lyrikerin, die im Rahmen eines Lehrauftrags ein Semester in New York verbringt. Es ist der Frühling 2024, die Lage im Land hat sich seit der Pandemie drastisch zugespitzt und das Prekariat hält die Menschen fest im Griff: Das glorreiche Kulturleben ist einem schieren Überlebenskampf gewichen, Manhattan zu einem Ort geworden, an dem man sich Wohnraum allein durch Arbeit nicht mehr leisten kann. „Auflösungen“ liest sich wie ein trauriger Abschied an eine Stadt, die nicht nur für Streeruwitz lange ein Sehnsuchtsort war.
Platz 3: Didi Drobna: „Ostblockherz“, Piper
Didi Drobna, 1988 in Bratislava geboren und in Wien aufgewachsen, hat bislang drei viel beachtete Romane veröffentlicht, die einen thematischen Bogen von Parkinson-Demenz bis hin zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen spannen. Mit „Ostblockherz“ legt sie erstmals einen autobiographischen Roman vor, der sich vor allem mit der Migrationsgeschichte ihrer Familie beschäftigt. 1991 war diese nach Wien übersiedelt, voller Erwartungen auf ein besseres, zumindest wohlhabenderes Leben. Die kleine Didi ist rasch integriert, spricht bald besser Deutsch als Slowakisch und ist als älteste Tochter vor allem eins: Vermittlerin zwischen den Eltern und der neuen Umgebung. Während die Mutter sich allmählich lernt im Alltag zurechtzufinden, verharrt der Vater in seiner Passivität, versteht auch nach vielen Jahren kaum Deutsch und lebt nach dem Credo: Unauffällig bleiben, nur keine Probleme machen. Die Handlung setzt mit dem Anruf des Vaters ein, mit dem Didi seit 10 Jahren nicht gesprochen hat: Er braucht Hilfe, fühlt sich unwohl, irgendwas stimmt nicht. Sofort ist Didi wieder im Care-Modus, ruft den Krankenwagen, fährt mit ins Spital, übersetzt, erklärt, übernimmt die Verantwortung, während der Vater in sich zusammensackt und sich mit seinem Schicksal abzufinden scheint, bevor überhaupt die Diagnose da ist. Mit viel Empathie, doch ohne ihre Beziehung zu ihm zu verklären, rekonstruiert Drobna die Geschichte eines Mannes, der sich so lange geduckt hat, dass er vergessen hat, wie man sich aufrichtet.
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