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ORF Bestenliste Mai

Im Mai 2025 bleibt Martin Prinz mit „Die letzten Tage“ (Jung und Jung) auf Platz 1 der ORF-Bestenliste. „Hier treibt mein Kartoffelherz“ (Matthes & Seitz Berlin) von Anna Weidenholzer kommt auf den 2. Platz. Den 3. Platz erreicht Colette mit „Claudines Elternhaus“ (Zsolnay).

Platz 1: Martin Prinz: „Die letzten Tage“, Jung und Jung

Heuer jährt sich das Ende des 2. Weltkriegs zum 80. Mal. Die letzten Wochen des sogenannten Dritten Reichs waren bekanntlich von Chaos und Gewaltexzessen geprägt. Mit einem dieser sogenannten „Endphaseverbrechen“ hat sich der österreichische Autor Martin Prinz in seinem neuen Roman „Die letzten Tage“ beschäftigt. Die Hauptrolle spielt dabei ein Aktenberg aus dem Wiener Stadt und Landesarchiv: Akribisch ist darin der Prozess gegen Johann Braun, den NSDAP-Kreisleiter Neunkirchen, dokumentiert. Im April 1945 errichtete dieser in der Region Rax/Schneeberg ein Standgericht, als dessen selbsternannter Richter er insgesamt 29 Menschen exekutieren ließ. Willkürlich entschied der gelernte Bäcker-Gehilfe mit seinen Schergen über Leben und Tod, machte Jagd auf Fahnenflüchtige und sonstige politisch unliebsame Personen – und dass, während die russische Armee stündlich vorrückte und sich der Untergang des deutschen Reichs überdeutlich abzeichnete. Bewusst hat Prinz die Geschichte nah an den historischen Gerichtsakten erzählt, um so die Sprache, mit der die Täter ihr Vorgehen rechtfertigen, vorzuführen. Der Roman zeigt eindrücklich, wie sich diese in Passivkonstruktionen und Konjunktiven versuchen aus der Verantwortung zu ziehen und bis zuletzt überzeugt davon sind, bloß ihre Pflicht getan zu haben.

Platz 2: Anna Weidenholzer: „Hier treibt mein Kartoffelherz“, Matthes & Seitz Berlin

Nach der Veröffentlichung ihres Debüts „Der Platz des Hundes“ im Jahr 2010 wurde die 1984 in Linz geborene Anna Weidenholzer zu einer der großen Nachwuchshoffnungen der österreichischen Literaturszene erklärt. In kurzen Abständen folgten gleich drei Romane, die vom deutschsprachigen Feuilleton umjubelt und mit Nominierungen für die großen deutschen Buchpreise belohnt wurden. Nach einer mehr als 6-jährigen Pause macht Weidenholzer mit einem neuen Erzählband auf sich aufmerksam, er trägt den Titel „Hier treibt mein Kartoffelherz“. Der Band ist eine Ode an die kurze Form: Gegliedert in 4 den Jahreszeiten nachempfundene Kapitel wechseln sich längere Erzählungen mit nur wenigen Sätzen umfassenden Skizzen ab, mal werden Geschichten erzählt, mal Beobachtungen festgehalten. Weidenholzers Figuren sind zartbesaitete Wesen mit rissigen Nervenkostümen, die jede Kleinigkeit aus der Bahn zu werfen droht. Da gibt es den spätherbstlichen Feriengast, der dann kommt, wenn alle weg sind, und auf Veränderungen geradezu allergisch reagiert. Oder die Umweltaktivistin, die sich so manisch für die Baumfürsorge einsetzt, dass man sich zu fragen beginnt, wer hier eigentlich Schutz braucht. Die hochverdichteten Texte lassen sich eigenständig lesen und sind doch lose miteinander verbunden, ähnlich einem literarischen Wimmelbild, wo jede Szene in einem größeren Ganzen aufgeht.

Platz 3 : Colette: „Claudines Elternhaus“, Zsolnay

Sidonie Gabriel Claudine Colette – kurz „Colette“ genannt – ist eine der schillerndsten Figuren der französischen Literaturgeschichte. 1873 in Burgund geboren, heiratete sie mit 19 Jahren den wesentlich älteren Schriftsteller Monsieur Willy. Unter dessen Namen begann Colette die legendären Claudine-Romane zu schreiben, Bücher über ein junges Mädchen aus der französischen Provinz, die zu einem gigantischen Erfolg wurden. Nach der Scheidung von Willy folgte eine Karriere als Varieté-Tänzerin und ab Ende der 1910er Jahre schließlich der Durchbruch als Schriftstellerin, als die sie von Zeitgenossen wie Marcel Proust oder André Gide aufs höchste bewundert wurde. In diese Zeit fällt auch die Veröffentlichung des Buchs „Claudines Elternhaus“, das nun in neuer Übersetzung vorliegt. Colette erzählt darin ihre eigene Geschichte: Alles dreht sich um das Aufwachsen im ländlichen Burgund, eine Umgebung, in die ihre Familie durch die Belesenheit der Eltern und ihre ungewöhnlich selbstständige Mutter nicht recht hineinzupassen scheinen. Ein Roman, der auch mehr als 100 Jahre später keinerlei Staub angesetzt hat.

Die gesamte ORF-Bestenliste finden Sie hier.

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