Österreichischer Staatspreis für Europäische Literatur an Joanna Bator verliehen

Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer hat den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur an die polnische Autorin Joanna Bator verliehen. Die Verleihung des mit 25.000 Euro dotierten Preises erfolgte am Samstag, 27. Juli im Mozarteum Salzburg.

Die fünfköpfige Jury für den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur 2024 bestand aus HVB-Präsident und Verleger des Czernin Verlags Benedikt Föger, Mag.a Claudia Romeder, Verlegerin des Residenz Verlags und Mitglied des HVB-Hauptvorstands, Dr. Bernhard Fetz, Direktor des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek, Walter Grond, künstlerischer Leiter der Europäischen Tage für Literatur (ELIT), und Dr.in Sabine Scholl, Autorin und Hochschullektorin für kreatives Schreiben.

Die Jurybegründung lautet:
„Geboren in der niederschlesischen Stadt Wałbrzych/Waldenburg, aus der die deutsche Bevölkerung ab 1945 vertrieben wurde, nimmt Joanna Bator in ihren Werken mehrfach Bezug auf die Gewaltgeschichte des Zweiten Weltkriegs, welche die Beziehungen zwischen Europa und Polen bis heute prägt. In vielschichtigen Erzählungen, in deren Zentrum meist weibliche Figuren stehen, verarbeitet Bator traumatische Erfahrungen des letzten Jahrhunderts. Sie lädt belastete Orte literarisch auf, gibt den Dargestellten Raum und Stimme, bringt sie Lesenden nahe und verbindet eindrucksvoll Vergangenes mit gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Realitäten. Dabei verfährt sie nie lehrhaft, sondern beobachtungsgenau, sprachlich versiert, spielerisch, voller Fantasie und Witz. Zudem meldet sich die Autorin in Essays, Artikeln, Kolumnen u.a. für Tygodnik Powszechny, National Geographic und Voyage zu Wort, tritt gegen fundamentalistische Zwänge auf, denen besonders Frauen und queere Menschen in rückwärtsgerichteten Regimen ausgesetzt sind. Joanna Bator lehrte an Hochschulen in Warschau, New York, London, Tokio, hält Poetikvorlesungen, hatte die Gastprofessur für Weltliteratur in Bern inne, wo sie über Heterotopien, das Unheimliche und Außenseiter, auch in der japanischen Kultur dozierte. Mit ihren literarischen Werken erzählt Joanna Bator große mitteleuropäische Geschichte aus weiblicher Perspektive.“

„Joanna Bator erzählt in ihren umfangreichen Büchern dutzende kleiner Geschichten, die kunstvoll zu wunderbaren Romanen verflochten werden und uns Leserinnen und Leser vom ersten Satz an in eine oftmals fremd wirkende Welt ziehen, die einem aber nach einigen Seiten schon vertraut ist“, so Staatssekretärin Mayer. „Dort lebt man dann gemeinsam mit den Figuren der Romane, die so wirklich, lebendig und leibhaftig erscheinen, dass man sich kaum wundern würde, ihnen auf der Straße zu begegnen. Joanna Bator hat damit ihre Geburtsstadt Wałbrzych, aus der sie mit 19 Jahren nach Tokio, New York, Berlin und London aufgebrochen ist, auf der Landkarte der Weltliteratur eingeschrieben und den widerständigen Frauen aus Polen einen Platz im Gedächtnis der Leserinnen und Leser gesichert.“

„Manche Bücher säen Hass und sperren ihre Leser in enge, angsterfüllte Welten ein. Andere Bücher erlauben es uns, unsere eigenen Limitationen zu überwinden“, so Joanna Bator in ihrer Dankesrede. „Sie helfen uns zu erkennen, dass wir freier sind als wir denken. Bereit, Grenzen zu verschieben und zu überschreiten. Mit anderen verbunden durch einen unsichtbaren goldenen Faden. Jeder von uns erinnert sich an solche Bücher, die uns ohne Zweifel erschaffen und geformt, und vor der Verzweiflung gerettet haben. Indem sie die Realität der Menschen verändern, verändern Bücher die Welt. Ich freue mich, dass meine Geschichten die Kraft haben, Grenzen zu überwinden und Menschen in jenem kollektiven Reich der Vorstellungskraft zusammenzubringen, das wir alle so sehr brauchen.“

Mit der „intensiven und sinnlichen Erforschung“ der Leben ihrer Frauenfiguren, so Laudatorin Sabine Scholl, „zeichnet Bator gleichzeitig politische und soziale Umbrüche nach: den Übergang vom Nationalsozialismus zum Kommunismus zum Kapitalismus und seiner Begleiterscheinungen. In allen Systemen aber waren Frauen die Verliererinnen. Über ihre Körper und die ihrer Kinder wurden Konflikte ausgetragen. Das gilt bis heute sowohl im Alltag als auch in Strategien von Krieg und Terror, wie in aktuellen Krisengebieten deutlich wird. Bators Romane berichten also von den großen Transformationen, denen Europa im 20. Jahrhundert unterworfen wurde und deren Folgen bis heute. Sie zeigen, wie entscheidend es für das Haus Europa ist, mehr über die Geschichte der östlichen Mitgliedsländer zu wissen, die mit der unseren dicht verwoben ist. Sie warnen vor Gespenstern, die uns alle heimsuchen und auffordern, nicht zu schweigen, nicht untätig zu bleiben.“

Der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur wird seit 1965 für das literarische Gesamtwerk einer europäischen Autorin bzw. eines europäischen Autors verliehen, das international besondere Beachtung gefunden hat, was durch Übersetzungen dokumentiert sein muss. Das Werk muss auch in deutschsprachiger Übersetzung vorliegen. Zuletzt ging der Preis an Mircea Cărtărescu, Andrzej Stasiuk, Karl Ove Knausgård, Zadie Smith, Michel Houellebecq, Drago Jančar, László Krasznahorkai, Ali Smith und Marie NDiaye.

Joanna Bator (c) Magda Hueckel Suhrkamp Verlag
(c) Magda Hueckel, Suhrkamp Verlag
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