Die Laudatio zum Österreichischen Buchhandlungspreis 2024

Lesen Sie hier die Laudatio von Schriftstellerin und Jurymitglied Milena Michiko Flašar zum Österreichischen Buchhandlungspreis 2024.

Es mag ein Klischee sein. Aber als Autorin, die mit ihren Büchern in schätzungsweise mehr als zweihundert Buchhandlungen zu Gast gewesen ist, kann ich nicht anders als folgende Feststellung zu treffen:

Buchhändler:innen sind nette Menschen.

Natürlich bin ich versucht, dieser Feststellung noch das eine oder andere Wort hinzuzufügen, um ihr das Klischeehafte zu nehmen.

Die meisten Buchhändler:innen – circa 99,9 % – sind nette Menschen. Zum Beispiel.
Oder: Die Buchhändler:innen, die ich bisher kennen lernen durfte, sind nette Menschen.

Doch da dies eine Lobrede ist, verzichte ich auf die Haarspalterei und bleibe bei der eingangs getroffenen Feststellung, die ich an dieser Stelle gerne wiederhole:

Buchhändler:innen sind nette Menschen.
Und damit – Punkt.

Worin aber besteht ihre Nettigkeit? Woraus speist sie sich?
Zur Beantwortung dieser Frage greife ich auf drei Erinnerungen zurück.

Da ist zum einen die Erinnerung an Urs Wetli, den ehemaligen Inhaber der Buchhandlung Scheidegger. Nicht nur nahm er mich zusammen mit seiner Frau Andrea bei sich in Affoltern auf, er chauffierte mich auch – pro bono, versteht sich – durch die halbe Schweiz und sorgte dafür, dass der Ohrclip in der Form eines Schmetterlings, den ich in seinem Auto verloren hatte, wieder sicher zurück zu mir nach Wien geflattert kam.
Zum anderen ist da die Erinnerung an Dudo Wanderer, die Inhaberin von Bücher Wanderer, die – sage und schreibe – über hundert Zuhörer:innen in ihren Laden lockte, und das für eine Lesung (!) in Bad Münder (!), einem verschlafenen Örtchen in Niedersachsen. Unermüdlich hatte sie die Werbetrommel gerührt, und sowohl ihre Gastlichkeit als auch ihre Liebe zum Detail – sie hatte etwa den Tisch, an dem ich las, mit zu meinem Buch „Oben Erde, unten Himmel“ passenden gelben Blumen geschmückt – schufen eine intime Atmosphäre im Raum.
Und nicht zuletzt ist da die Erinnerung, mehr das Wissen um „meine“ Buchhändlerin, Petra Hartlieb. Das Possessivpronomen „mein“ mag in dem Zusammenhang übertrieben klingen. Aber so ist das mit netten Buchhändler:innen. Wenn man das Glück hat, eine:n in der nächsten Nachbarschaft zu haben, baut sich eine durchaus besitzergreifende Beziehung dazu auf. Der Laden ums Eck wird zu „meinem“ Laden. Man teilt ihn sich mit den anderen, die in dem Grätzl bzw. in der Ortschaft leben, und ehe man sich versieht, ist aus „meinem“ und „deinem“ UNSER ALLER Laden geworden. Man betrachtet ihn als eine Art Verlängerung des persönlichen Wohnbereichs. Man verweilt gerne darin. Man stöbert. Man quatscht. Und auch wenn man einmal längere Zeit nicht da gewesen ist, der Fakt, dass es ihn gibt, sowie es den Bäcker gibt, bei dem man sein Brot kauft, schafft eine wohltuende innere Sicherheit. Irgendwo – ganz in der Nähe – befindet sich eine Oase, an der sich der Hunger nach mehr als nur der sprichwörtlichen geistigen Nahrung stillen lässt.

Ich kann hier leider nicht alle Buchhändler:innen aufzählen, deren Nettigkeit mir in Erinnerung geblieben ist (und auch weiterhin bleiben wird). Urs, Dudo und Petra stehen allerdings symbolisch für all die anderen, die schnell ins Auto springen, um uns Autor:innen von A nach B zu kutschieren, die ihre lokale (kulturell oft unterernährte) Community mit der Seelennahrung „Literatur“ versorgen und die Räume schaffen, die uns allen gehören.

Was macht ein:e Buchhändler:in? Er:sie verkauft Bücher. Und da Bücher bekanntlich welthaltig sind, verkauft er:sie auch ein Stück von der großen weiten Welt an uns. Er:sie bringt uns auf Wege, die es uns erlauben, uns lesend mit der Wirklichkeit zu befassen, und die vielen Wege, auf die er:sie uns bringt, lassen uns erkennen, dass wir es nicht nur mit der einen Wirklichkeit, sondern mit mehreren Wirklichkeiten zu tun haben.
Buchhändler:innen sind möglicherweise deshalb so nett, weil sie von Berufs wegen an diese Erkenntnis angeschlossen sind. Möglicherweise sind sie aber auch deshalb so nett, weil es zum Verkaufen (d.h. zum Weitergeben) von solchen Erkenntnissen einer guten Portion Idealismus bedarf.
Über die Schwierigkeiten, mit denen der inhaber:innengeführte Buchhandel zu kämpfen hat, brauche ich Ihnen nichts zu erzählen. Ob es der immer wieder anhand von Zahlen belegte Rückgang an Leser:innen ist oder der nicht zu gewinnende Wettstreit mit den Big Playern und die sich daraus ergebenden finanziellen Unsicherheiten – Sie wissen selber am besten, dass die Branche, in der Sie arbeiten, mitunter einem schwankenden Schiff gleicht.
Den Widrigkeiten zum Trotze nett zu sein, und wenn es notwendig ist, vielleicht auch mal nicht so nett – das ist eine Leistung, die es unter den gerade erwähnten Umständen hervorzuheben gilt. Es gilt Ihren Mut und Ihr Durchhaltevermögen hervorzuheben, die das Schiff auf dem Wasser halten. Ihre Leidenschaft für den Gegenstand. Ihre diesbezügliche Flexibilität. Ihre Kreativität. Die Kompromisslosigkeit, mit der Sie sich – aus der Leidenschaft für den Gegenstand heraus – seinem Erhalt verschrieben haben.

Ich persönlich glaube ja nicht, dass Bücher jemals aussterben werden. In welcher Form auch immer – Geschichten werden immer erzählt werden. Sonst hätte ich wohl kaum die Motivation, mich täglich an den Schreibtisch zu setzen.
Genauso wenig glaube ich, dass es „egal“ ist, wo, wie und von wem die Geschichten, die wir Autor:innen schreiben, an die Lesenden vermittelt werden. Es macht einen Unterschied, ob man ein Buch bloß „erwirbt“ oder ob man es in der Heimeligkeit eines nach Papier riechenden Ladens und mit Hilfe eines fachkundigen Buchhändlers / einer fachkundigen Buchhändlerin für sich „entdeckt“. Sein/ihr Einsatz verleiht dem Akt des Erwerbens noch eine zusätzliche Dimension, nämlich die der „Anempfehlung“. Er/sie legt uns quasi etwas „ans Herz“. Und auch wenn das kitschig klingt, dieses „ans Herz legen“ ist wohl wiederum einer der Gründe, warum Buchhändler:innen so nette Menschen sind.

Wir Autor:innen sind außerdem besonders auf den Einsatz der Buchhändler:innen angewiesen. Uns verbindet eine Beziehung, die enger nicht geknüpft sein könnte. Wer wären wir ohne sie, die uns zu sich einladen und uns einem breiteren Publikum vorstellen? Wer wären wir ohne die Büchertische, die sie bereitstellen? Wer wären wir ohne die Mundpropaganda, die sie für uns leisten? Etc.

Im Namen des BMKÖS und des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels, im Namen der Jury, im Namen aller Lesenden, im Namen der Autorenschaft, zu der ich gehöre, gratuliere ich nunmehr den Preisträger:innen sehr herzlich zu der Auszeichnung, die sie heute verliehen bekommen, und ich gratuliere auch denen, die dieses Mal „leer“ ausgegangen sind. Es war nicht leicht, eine Auswahl zu treffen. Das Klischee vom netten Buchhändler / von der netten Buchhändlerin schließt aber immerhin ALLE ein. Bitte hören Sie nicht damit auf, uns Bücher ans Herz zu legen und uns damit zu ebenso netten Menschen zu machen, wie Sie es sind.

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