‚Auflösungen‘ ist eine so präzise wie schmerzvolle Analyse unserer auf unterschiedlichsten Ebenen in Regression befindlichen Gegenwart. Auch wenn der Roman im Wesentlichen in New York angesiedelt ist, wird darin Satz für Satz ein Zivilisationsverfall seziert, der weit über die USA hinausreicht: auch nach Österreich, vor allem in jene hartgesotten-marktgläubige Politik, die hierzulande unlängst als neue, konservative Bewegung gefeiert wurde. In ‚Auflösungen‘ wird die Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche als Bedrohung nicht zuletzt für die Kunst sichtbar gemacht und damit als Gefährdung all jener Bereiche, die den emanzipatorischen Geist hochhalten und fördern. Im Zentrum steht, wie so oft bei Marlene Streeruwitz, eine Frau, Alleinerzieherin, Lyrikerin, die sich von einem Lehrauftrag in New York einen Neuanfang verspricht – einen, in dem das Leben frei gelebt werden kann jenseits patriarchal geprägter Bilder und Vorgaben. ‚Auflösungen‘ ist ein zorniger, zugleich besonnener Text, in dem akribische Spracharbeit, intellektuelle Durchdringungskraft und progressiver politischer Furor zu überzeugender Form finden – ein Roman, mit dem Marlene Streeruwitz erneut beweist, dass sie zu den eigenständigsten und damit gewichtigsten Autorinnen der Gegenwart zählt. Dass die Literatur die eigentliche Wissenschaft vom Leben ist: auch dieser Anspruch, den Marlene Streeruwitz immer wieder für die Literatur formuliert, findet in ihrem jüngsten Roman seine Realisation.
