anzeiger 9/2022 – Eine Frage der Perspektive

Im September ist das alljährliche „Sommerloch“ vorüber: Ein guter Zeitpunkt, um einen Blick auf die Umsatzzahlen zu werfen, Bilanz zu ziehen sich auf die nächsten Monate vorzubereiten. Das ist auch in diesem Jahr keine sehr erfreuliche Aufgabe: Die Zahlen sind weniger positiv als erhofft, die Bilanz fällt im Vergleich zu den Jahren vor Corona oft negativ aus. Und die kommenden Monate dürften wieder einmal eine herausfordernde Zeit für den Buchhandel und die Verlage werden.

Text: Linn Ritsch

Covid als Maßstab – vor, während oder nach der Pandemie
Nach einem ersten Blick auf die Zahlen, die der österreichische Buchmarkt im ersten Halbjahr 2022 geschrieben hat, scheint sich zunächst ein unauffälliges Bild zu ergeben. Der Gesamtumsatz ist mit einem Plus von 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum leicht angewachsen. Dass der stationäre Handel ein Plus von 16,8 Prozent verzeichnen kann, ist erfreulich. Hier muss allerdings miteinkalkuliert werden, dass das Vorjahr noch von pandemiebedingten Schließungen geprägt war.
Viele Kund:innen, die ihren Bedarf während des Lockdowns online gedeckt haben, sind in diesem Jahr offensichtlich wieder in die Buchhandlungen zurückgekehrt. Das Wachstum, das im stationären Handel in diesem Jahr erzielt werden konnte, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Umsätze des stationären Buchhandels mit minus 6,3 Prozent noch immer deutlich unter dem Vorkrisenjahr 2019 liegen. Auch der Umsatz des Gesamtmarktes ist im Vergleich zu 2019 um 0,3 Prozent gesunken. Österreich ist damit keine Ausnahme. Dem deutlich größeren deutschen Buchmarkt geht es ähnlich: Der stationäre Buchhandel im Nachbarland verzeichnet verglichen mit 2021 ein Plus von 15,3 Prozent. Doch auch hier kann dieser erste positive Eindruck nicht von der insgesamt schwierigen Lage ablenken. Im Vergleich zu 2019 fehlen im ersten Halbjahr dieses Jahres 11,1 Prozent des Umsatzes.

Krisenbedingt ist der Onlineumsatz wieder gesunken
Auch für die Einordnung der Onlineverkaufszahlen spielt die Pandemie die Hauptrolle: Die Wiederöffnung der Buchhandlungen bescherte dem Onlinegeschäft ein Minus von 15,4 Prozent im Vergleich zum Pandemiejahr 2021. Verglichen mit 2019 verzeichnet der Onlinehandel allerdings ein Plus von 10,6 Prozent: Auch wenn viele Käufe wieder im stationären Geschäft getätigt werden, haben sich die Kaufgewohnheiten mit der Pandemie also verändert: Ein leichter Trend zum Onlinekauf zeichnet sich ab. Für den stationären Handel ist das trotz Kompetenzgewinn im digitalen Verkauf vor allem deswegen bitter, weil der Löwenanteil erfahrungsgemäß auf Amazon entfällt.
Betrachtet man den stationären Buchhandel und den E-Commerce gemeinsam, ergibt sich gegenüber dem Vorjahr ein schwaches Plus von 1,1 Prozent. (Die 0,4 Prozent, die für das Gesamtplus von 1,5 noch fehlen, wurden im Bahnhofs- und Drogeriehandel erwirtschaftet.) Im Vergleich mit 2019 befinden sich die Umsatzzahlen auf Vorkrisenniveau.

Warengruppen – Verlierer, Gewinner und der Sonderfall
Welche Themen sich gut verkaufen und welche Bücher tendenziell Ladenhüter bleiben, zeigt ein Blick auf die Warengruppen. Durchwegs negative Zahlen wurden bei den Ratgebern, Sach- und Fachbüchern geschrieben: Alle drei verlieren sowohl im Vergleich mit dem Vorjahr als auch verglichen mit 2019.
Vor allem mit Ratgebern und Fachbüchern wurde während und nach der Pandemie weniger Umsatz erzielt. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Umsatz in beiden Gruppen um etwa 10 Prozent gesunken.
Ein Sonderfall ist die Reiseliteratur. Sie kann mit Abstand den größten Zuwachs verzeichnen, der Umsatz ist über 50 Prozent gestiegen. Das ist bei einem Vergleich mit dem Jahr 2021, in dem die Reisefreiheit massiv eingeschränkt war, nicht weiter verwunderlich. Ein Vergleich mit 2019 ergibt ein anderes Bild: Der Umsatz ist um 18,5 Prozent gesunken. Von einer Erholung kann in dieser Warengruppe also keine Rede sein.
Einzig die Kinder- und Jugendliteratur erweist sich als „Pandemie-Gewinnerin“: Hier konnte der Umsatz verglichen mit 2019 um 12,7 Prozent gesteigert werden. Seitdem hat sich der Verkauf in diesem Bereich allerdings wieder eingependelt. Der Vergleich mit dem Vorjahr zeigt in dieser Warengruppe nur einen Anstieg von 1,8 Prozent.

Nach der Krise ist vor der Krise
Während der Sommermonate ist Corona in den Hintergrund gerückt, gern würde man aufatmen und sich auf bessere Zeiten freuen. Stattdessen gesellen sich zu dieser Krise noch weitere: Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass die Pandemie sich im Herbst wieder mit steigenden Fallzahlen in Erinnerung ruft. Gleichzeitig sind die explodierenden Rohstoffpreise und die aktuelle Energiekrise ein harter Schlag für die Branche.
Dass Bücher in Krisenzeiten zum Luxusgut werden, zeigen die Absatzzahlen im Buchhandel: Auch wenn die Preisentwicklung im ersten Halbjahr 2022 nahezu gegenläufig zur allgemeinen Teuerung ist  – die Preise sind um nur 1,7 Prozent angestiegen und Bücher bleiben damit erschwinglich –, wurden um 3,1 Prozent weniger Bücher als vor der Pandemie verkauft.
Es ist insgesamt zwar eine leichte Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr zu beobachten: Es wurden um 1,8  Prozent mehr Bücher verkauft als 2021.Trotzdem bleibt die Lage in der heimischen Buchbranche
deutlich angespannt. Vor allem im Bereich des stationären Handels: dort wurden 9,4 Prozent weniger Bücher verkauft als 2019.
Die Stimmung in der Branche ist trotzdem nicht ausschließlich düster: „Was die Umsatzentwicklungen betrifft, können wir durchaus verhaltenen Optimismus walten lassen, da der Buchhandel in der Vergangenheit in konjunkturschwachen Zeiten stets überdurchschnittlich gut reüssiert hat“, sagt Helmut Zechner, Vorsitzender des Österreichischen Buchhändlerverbandes. Die auf den Buchhandel zukommenden Kostensteigerungen (etwa für Energie, Transport und KV-Abschluss) seien allerdings äußerst besorgniserregend „Für Buchhändler:innen ist es jetzt wichtiger denn je, sehr exakt zu kalkulieren.“
Es sind großes Engagement und viel Flexibilität gefragt. Beides, das haben die vergangenen Krisenjahre gezeigt, ist in der Buchbranche vorhanden. Vielleicht brauchen wir in Zeiten wie diesen ohnehin vor allem eines: schlüssige Informationen und gute Geschichten. Und mit diesen beiden Gütern kann die Buchbranche dienen.

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© Georg Feierfeil
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