Mitte vorigen Jahres ist die neue EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten in Kraft getreten: die EUDR. Ab 30. Dezember 2024 muss sie umgesetzt werden. Was sind die Folgen für die Branche?
Text: Linn Ritsch
Die Idee ist gut, die Ausführung lässt bisher zu wünschen übrig. So lässt sich die Meinung vieler Branchenteilnehmer:innen zur EUDR zusammenfassen. Die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte ist am 29. Juni 2023 in Kraft getreten. Große und mittlere Unternehmen müssen sie ab 30. Dezember dieses Jahres umsetzen, kleine und Kleinstunternehmen ab 30. Juni 2025. Die Zeit drängt – doch zahlreiche Details sind noch ungeklärt, es gibt Spielraum für Interpretation, und die praktische Durchführbarkeit wird angezweifelt.
Die Grundlage der neuen Verordnung
Auf Basis von Holz hergestellte Produkte dürfen nur dann in der EU in den Verkehr gebracht oder ausgeführt werden, wenn sie nicht mit Entwaldung oder Waldschädigung in Verbindung stehen. Also auch Papier, Pappe und Druckerzeugnisse. Wird die Regelung nicht befolgt, werden alle zur Verantwortung gezogen: von der Firma, die die Bäume rodet, bis hin zur Buchhandlung, die den daraus entstandenen Roman verkauft. „Jedes einzelne Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette haftet – das ist eine wesentliche Neuerung der Verordnung“, erklärt Enrico Turrin von der Federation of European Publishers (FEP). Regeln zur Verhinderung von Entwaldung und Raubbau existieren schon lange. Doch mit Sorgfalts- und Dokumentationspflichten für alle geht die EUDR einen neuen Weg.
Die genauen Verpflichtungen richten sich nach der Unternehmensgröße: Kleinere Firmen sollen weniger bürokratischen Aufwand haben. Es kommt auch darauf an, ob die jeweilige Firma als „Marktteilnehmer“ oder „Händler“ gilt: Marktteilnehmer bringen Waren in den Verkehr oder führen sie aus. Händler stellen im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit Waren bereit.
Was von der Buchbranche verlangt wird
Hier wird es kompliziert. Denn wer als Marktteilnehmer und wer als Händler gilt, ist nicht immer klar, sagt Turrin. Zum Beispiel in Bezug auf Verlage: „Bei Gesprächen mit Druckereiverbänden haben wir uns darauf geeinigt, uneinig zu bleiben. Aus Sicht der FEP geschieht die Verwandlung von Papier in ein Buch in der Druckerei.“ Drucker wären somit „Marktteilnehmer“, Verlage hingegen „Händler“ mit potenziell weniger Verpflichtungen. Druckereien sehen die Sache anders. Eine Entscheidung der EU-Kommission steht noch aus.
Die EUDR sieht vor, dass „Marktteilnehmer“ Sorgfaltserklärungen von Lieferanten überprüfen – oft ein aufwendiges Prozedere. Wie sehr, das hängt davon ab, ob aus einem EU-Land oder von außerhalb der EU importiert wird. „Wenn etwa ein Verlag – egal welcher Größe – Bücher in einem Drittstaat drucken lässt, bedeutet das viel Arbeit“, sagt Turrin. „Dann ist das Unternehmen das erste der Lieferkette, das ein Due Diligence Statement (DDS) erstellen muss.“ Also Dokumente, in denen angeführt wird, wie die neue Regelung eingehalten wird. Die in der Lieferkette nachfolgenden Unternehmen können sich auf ein bereits vorhandenes DDS beziehen.
Verwirrung und unzureichende Vorbereitung
Bislang fehlen essenzielle Informationen und Möglichkeiten zur Vorbereitung auf die Umsetzung: Wie ein DDS genau auszusehen hat, ist nicht geklärt. Auch das Informationssystem, in das relevante Auskünfte eingespeist werden sollen, ist noch nicht online.
„Manche Hausaufgaben seitens der EU-Kommission wurden nicht gemacht“, sagt Dan-Esra Gloe, Politikreferent im Berliner Büro des Börsenvereins. Auch die Risikobestimmung sei noch ausständig. Ihr Zweck: Erleichterung durch eine globale Festsetzung von Gebieten mit hohem, mittlerem oder niedrigem Entwaldungsrisiko. Wer Holz aus Regionen mit niedrigem Risiko bezieht, soll vereinfachte Dokumentationspflichten haben.
„Viele unserer Mitglieder sind besorgt und wünschen sich klare Auskünfte“, so Gloe. Mit unserer Handreichung, die wir stetig ergänzen, bemühen wir uns zu helfen.“ Aber die Grundlage für derlei Auskünfte sei dürftig: „Noch lassen viele Details der Verordnung Spielräume für Interpretation.“ Auch wie die in der EUDR festgelegte Geolokalisierung gehandhabt werden kann, sei unklar. Sie soll sicherstellen, dass die Herkunft jedes aus Holz gefertigten Produktes nachvollziehbar ist. Aber: „Tools zu finden ist zwar möglich, allerdings fordern wir von der EU zumindest Empfehlungen für eine rechtssichere, zuverlässige Anwendung“, sagt Gloe. „Außerdem sind einige Lieferanten außerhalb der EU nicht in der Lage, die Daten zu liefern – und manche wissen bislang nichts von der EUDR.“
Gerade für die Papierherstellung sei die Frage der Geolokalisierung problematisch, sagt Thomas Salzer, Geschäftsführer des österreichischen Unternehmens Salzer Papier. „In einem Zellstoffwerk, das mehrere Millionen Tonnen Zellstoff produziert, wird Holz aus unterschiedlichsten Regionen verarbeitet. In der Papierfabrik wird dann Zellstoff von mehreren Lieferanten vermengt. Jedem Stück Papier die ‚richtigen‘ Bäume zuzuordnen, ist dann praktisch unmöglich.“ Er sieht die EUDR insgesamt kritisch. „Wie das umgesetzt werden soll, ist mir ein Rätsel – klüger wäre es gewesen, auf den bestehenden Waldschutzverordnungen aufzubauen und diese auf andere Produkte auszuweiten, statt eine neue Regelung zu erfinden, die massiven Verwaltungsaufwand mit sich bringt.“
Die wichtigste Forderung: mehr Zeit
Für die meisten Branchenverbände Europas gilt: Kritik an der Verordnung ist nicht Kritik an der dahinterstehenden Absicht. Sondern an der Praktikabilität. „Der Klimawandel ist eines der dringendsten Probleme unserer Zeit“, so FEP-Präsident Ricardo Franco Levi. Verlage seien aktiv um ressourcenschonende Produktion bemüht. Trotzdem müsse die Anwendbarkeit der Verordnung angemessen sein, „insbesondere für jene Verlage, die ihre Lieferanten sorgfältig auswählen“.
Auch wenn Branchenverbände hinter dem Geist der Verordnung stehen – ihre Botschaft ist klar: Es braucht umfassendere Informationen, bürokratische Vereinfachungen und vor allem mehr Zeit. „Eine unserer Maximalforderungen ist ein zeitlicher Aufschub für Sorgfaltspflichten und Sanktionen“, sagt Gloe. Dieser wird, neben weiteren Punkten, in einem offenen Brief deutscher Branchenverbände verlangt.
Auch Kommunikation sei eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Umsetzung der EUDR, meint Christian Handler vom Verband Druck Medien in Österreich. Hier gebe es Grund zum Optimismus: „Unser Verband ist mit der Vereinigung ‚Forst Holz Papier‘ im Austausch und auch mit Vertreter:innen des Forest Stewardship Council (FSC). Es werden relevante Informationen weitergegeben, die Kommunikation ist positiv. Wir versuchen, unseren Mitgliedern gute Informationen zu liefern, und setzen uns für eine möglichst unbürokratische Umsetzung der EUDR ein.“
Wie es jetzt weitergeht
Handler sieht die Verordnung insgesamt nicht ganz so schwarz wie einige Branchenkolleg:innen. „Bürokratie ist nicht per se negativ, schließlich erlaubt sie im Ernstfall Nachvollziehbarkeit und erleichtert die Beweisführung, wenn etwas falsch gelaufen ist.“ Wichtig sei Verhältnismäßigkeit, es dürfe nicht zu kompliziert werden. Ebenso wichtig ist gute Vorbereitung – soweit möglich. Enrico Turrin rät: Unternehmen sollen damit beginnen, Lieferketten zu prüfen und sich mit Lieferanten auszutauschen.
Die Auswirkungen der Verordnung auf die Buchbranche sind schwer vorhersehbar. Turrin hält es für möglich, dass größere Teile der Lieferkette in die EU verlagert werden. „Vielleicht werden mehr Verlage in der EU drucken lassen. Das ist aber auch eine Kostenfrage.“ Große Lieferunternehmen außerhalb der EU könnten sich wiederum entschließen, EU-Kunden nicht mehr zu beliefern, um Aufwand zu sparen.
Es gibt Grund zur Hoffnung auf eine praktikable Umsetzung. Neben Lobbyarbeit der Buchbranche gibt es ähnliche Forderungen aus anderen Bereichen, etwa der Landwirtschaft. Außerdem wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, sagt Handler. „Neue Verordnungen erzeugen anfangs immer viel Angst. Ich erinnere mich an das Thema Datenschutz. Die Sorge war groß, aber schließlich wurde ein guter Weg gefunden. Heute kräht kein Hahn mehr danach.“