New Adult Titel bevölkern Regale und Screens und bringen die Jugend wieder zum Lesen. Deutsche Verlage gründen Imprints, die Verkaufszahlen sind gut. Wie sieht es in der österreichischen Branche aus?
Text: Ruth Kronbichler
Das Klischee der nicht lesenden Smartphone-Teenager ist überholt. In der Buchbranche wird jubiliert: Die Jugend liest wieder! Einer Studie im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft deutscher Jugendbuchverlage und des Börsenvereins zeigt: Die Ausgaben für Kinder- und Jugendbücher stiegen um 7,4 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019.
Der Trend Richtung New und Young Adult ist deutlich – das Genre dominiert in dieser Alterskohorte schon seit einigen Jahren. Es schließt eine Lücke in der Literaturlandschaft. Alles, was nicht mehr klassische Jugendliteratur ist, aber auch noch nicht zum Erwachsenenbereich gehört, findet hier seinen Platz. Auch auf der Buch Wien 2023 gab es erstmals einen New-Adult-Fokus, der Erfolg war groß.
Die Grenzen zwischen Young und New Adult verschwimmen immer mehr. Der einzige nennenswerte Unterschied: In New-Adult-Romanen kommen explizite Liebesszenen vor. Je nach „Schärfegrad“ der Episoden werden die Titel mit einer bestimmten Anzahl an Chilischoten gekennzeichnet: Bei fünf Schoten geht es ganz schön deutlich zu.
Eigene Imprints großer Publikumsverlage aus Deutschland, etwa Lyx, Kyss und Forever, erfreuen sich einer wachsenden Leser:innenschaft. Könnte das auch für die österreichische Verlagslandschaft interessant sein? „Wir haben nicht vor, eine Young-Adult-Serie zu starten“, erklärt Tanja Raich vom Leykam Verlag. Im Frühjahr 2025 erscheint dort das Buch des deutschen Transpaares Gazelle und Gialu. Die beiden TikTok-Bekanntheiten sprechen über ihr Outing und das Leben als trans beziehungsweise nichtbinäre Person. „Dieses Buch ist definitiv auf die Zielgruppe New-Adult-Leser:innen zugeschnitten“, erklärt Raich.
Ganz in das neue Genre einsteigen will sie aber nicht. „Ich glaube, dass das für kleine Verlage nicht unbedingt Sinn macht.“ Zudem seien Liebesromane und Fantasy nicht direkt Themen, die Leykam bediene. „Ich sehe es immer als Chance, wenn sich neue Zielgruppen erschließen“, meint Raich. „Das bevorstehende Buchprojekt ist eine interessante Möglichkeit, um das Genre auszuprobieren.“ Sie traut ihren Leser:innen viel zu, vor allem dem jungen Publikum. Deshalb steht sie der Distinktion zwischen Erwachsenen- und Jugendliteratur kritisch gegenüber.
Die Inspiration durch BookTok in Social Media begrüßt Raich. „Ich habe das Gefühl, dass die klassische Literaturkritik ein bisschen in die Jahre gekommen ist und vor allem die jüngere Generation nicht mehr interessiert.“ Umso schöner findet sie es, wenn im digitalen Raum für das Lesen geworben wird und um Bücher ein Hype entsteht. „Es kann uns nichts Besseres passieren, als dass über Literatur gesprochen wird“, meint Raich. „Das Schlimmste wäre Stillstand.“
Auch Emily Huggings von Ueberreuter beobachtet die große Nachfrage im Bereich New Adult: „Es gibt durchaus Titel, um die bei großen Auktionen gekämpft wird.“ Konkrete Nachfragen von Leser:innen oder Manuskripteinsendungen von New-Adult-Autor:innen weiß sie nicht zu verzeichnen. Als Verantwortliche für das Kinder- und Jugendbuchressort ist Huggings mit den aktuellen Trends vertraut. „Das Programm ist laufend auf dem Prüfstand.“ Ob der New-Adult-Hype aber über die Jahre andauern werde, ist für sie fraglich.
Derzeit lohnt es sich für den Buchhandel, mit entsprechendem Angebot und Marketing in den Trend zu investieren. Das wird unter anderem von Thalia getan. Den positiven Effekt zeigen Zahlen. Ein Beispiel: In der zu Young Adult gehörenden Warengruppe „Fantasy“ verzeichnete der deutsche Gesamtmarkt in den letzten zwei Jahren eine positive Marktentwicklung von 7,3 Prozent. Thalia erreichte eine Entwicklung von 19,7 Prozent.
Auch Tyrolia ist auf den New-Adult-Trend aufgesprungen. Mit Erfolg. In der Innsbrucker Buchhandlung werden Romane dieses Genres gezielt ausgestellt. Tyrolia-Buchhändlerin Verena Gruber betont: „Es ist eine sehr wichtige und mittlerweile auch sehr große Zielgruppe.“ Deshalb hat Tyrolia das Romantasy Festival gegründet. Diesen Juni fand es in dritter Auflage statt. Neben Lesungen von bekannten New-Adult-Autor:innen wie Carina Schnell, Lexis Able und Andreas Dutter gab es in Kooperation mit der Plattform „Chest of Fandom“ auch Workshops und Gewinnspiele. Die BookTok-Trends sind eine wichtige Inspiration für Gruber. „Die Titel der Bestsellerliste habe ich immer vorrätig.“ Auch Ratgeber stünden bei dieser Altersgruppe hoch im Kurs. Seit einigen Monaten schmökert Gruber auch selbst in Romance-Novels hinein. „Ich liebe es, über den Tellerrand hinaus zu lesen.“
Auch die Themen der neuen Jugendromane haben sich verändert. Waren es in den 2010ern noch beißende Vampire, so geht es heute vermehrt um Konsens und psychische Gesundheit. Gruber begrüßt die Entwicklung: „Diese Romane bilden eine breitere Themenpalette ab: Queere Erlebnisse, aber auch Depressionen und politische Themen wie beispielsweise Klimaschutz finden hier ihren Platz.“
In die Wiener Buchhandlung o*books verirren sich immer wieder TikTok-Beststeller. Die Nachfrage ist aber überschaubar. „Ich glaube nicht, dass diese Bücher relevant für unsere Zielgruppe sind“, so Buchhändlerin Katja Fetty. „Wir würden uns auf keinen Fall verschließen, aber aktuell sehe ich hier keinen besonderen Trend. „Ich bestelle die Titel, die auf BookTok einen Namen haben. Aber mittlerweile in einer sehr geringen Stückanzahl, da die Nachfrage einfach nicht vorhanden ist.“
Mit ihrer Kollegin Bianca Braunshofer vermittelt Fetty eine neue Perspektive auf typische New-Adult-Inhalte. „Diese Bücher sind nicht sehr feministisch, sie bedienen weiterhin die immer gleichen Klischees“, so Braunshofer. „Auch wenn das Buch als queer proklamiert wird, heißt es nicht, dass es feministisch und aufgeklärt ist.“ Queer ziehe einfach bei einer gewissen Zielgruppe, fügt Fetty hinzu. „Ganz oft werden jungen Menschen aber nach wie vor veraltete Vorstellungen vermittelt.“ Dass dieses Genre als Entspannung und als Pleasure Read genossen wird, kann Braunshofer nachvollziehen. Aber: „Erwachsene können diese Art von Literatur besser einordnen als junge Mädchen, denen hier falsche Rollenbilder vorgelebt werden.“
Auf Instagram ist o*books aktiv, der meistgespeicherte Beitrag ist eine Buchempfehlung aller Mitarbeiterinnen. „TikTok wäre ein Vollzeitjob“, meint Braunshofer. „Dafür haben wir nicht die Ressourcen. Vielleicht könnten sich aber mehrere lokale Indie-Buchhandlungen zusammentun und einen gemeinsamen TikTok-Account starten.“
TikTok zielt auf eine sehr junge Zielgruppe ab, hier finden vor allem Zehn- bis Fünfzehnjährige Inspiration. Instagram steht bei den 16- bis 29-Jährigen hoch im Kurs – aber die Grenzen verschwimmen zunehmend. Für beide Plattformen gilt: Die Buch-Communitys sind aktiv. Über Lesechallenges, Coverabstimmungen und Farbschnittvotings findet viel Austausch statt.
Doch die Inspiration wird nicht nur in Social Media gefunden. Immer mehr junge Menschen bevorzugen Buchhandlungen, um sich Empfehlungen zu holen. Nicole List freut sich über junges Publikum in ihrem Geschäft in Wien. „Bei Jugendlichen gibt es anfangs immer eine kleine Hemmschwelle, mich zu fragen, aber die ist dann bald überwunden“, erzählt sie.
Seit einigen Monaten gibt es in der Buchhandlung List ein eigenes Regal für New-Adult-Titel. List nutzt Social Media als Inspiration beim Ankauf: „Ich schaue, was bei den verschiedenen Altersgruppen gerade im Trend liegt, und bestelle auch danach.“
Den fehlenden feministischen Blick zahlreicher New-Adult-Romane kritisiert auch sie. „Teilweise gibt es wahnsinnig unrealistische Sexszenen in den Romanen. Das muss ich nicht aktiv verkaufen“, so List. Es ist so wichtig, besonders jungen Mädchen ein realistisches Bild von Sexualität zu vermitteln.“
Die Buchhändlerin bemerkt außerdem einen Trend hin zur Originalsprache. Zahlen der Studie aus Deutschland bestätigen: Junge Lesende kaufen immer mehr Bücher im englischsprachigen Original. Rund vierzehn Prozent der Zehn- bis Fünfzehnjährigen bevorzugen Texte in Originalsprache. Bei den Sechzehn- bis Neunzehnjährigen liegt der Anteil sogar bei dreißig Prozent. „Nicht nur die Cover, sondern auch die Titel werden mittlerweile bei Übersetzungen eins zu eins aus dem Englischen übernommen“, erklärt Verena Gruber.
Apropos Cover: Das Buch als Gesamtkunstwerk rückt immer mehr in den Fokus. Die Zahlen sprechen für sich: Für achtzig Prozent der Lesenden spielt das Cover bei der Buchauswahl eine große Rolle. Bunte Farbschnitte gibt es schon lang, aber im vergangenen Jahr haben sie sich als deutliches Verkaufsargument bestätigt. Was den Verkauf zusätzlich ankurbelt: Oft sind die Titel mit besonderer Ausstattung nur limitiert erhältlich. Werden Hardcover-Bücher deshalb Taschenbüchern mittlerweile vorgezogen? „Das kommt ganz drauf an“, meint Gruber. „Ich beobachte den Trend hin zu Hardcover, aber es kann auch eine schön gestaltete broschierte Ausgabe sein.“
List sieht einen kapitalistischen Gedanken hinter den zahlreichen Sonderausgaben. Aber: „Ich finde es toll, dass Bücher wieder neuen Wert bekommen. Endlich geht es wieder um das Rundumpaket Buch und es ist sehr schön mitanzusehen, dass Jugendliche ein Auge hierfür bekommen.“
Mehr als seichte Lektüre
Die meisten New-Adult-Autor:innen sind weiblich. Andreas Dutter ist einer der wenigen Männer, die hier einen Platz gefunden haben. Der Österreicher erzählt über seine Erfahrungen mit dem Genre.
„New Adult“ wird hauptsächlich von Autorinnen bespielt. Wie ist es für Sie als Mann, in diesem Genre zu schreiben?
Andreas Dutter – Anfangs war es schwierig, Verlage davon zu überzeugen, dass ich in diesem Genre schreiben kann. Oft wurde mir geraten, „männlichere“ Fantasy oder Krimis und Thriller zu schreiben. Zum Glück habe ich daran festgehalten und auch viel Unterstützung von anderen NA-Autor:innen erfahren. Es war leicht, in dieser Bubble Fuß zu fassen. Lesende hatten bisher auch nie ein Problem damit, dass ich als Mann Romance schreibe.
Mit welchen Vorurteilen haben Sie und Ihre Kolleg:innen der Branche zu kämpfen?
Dutter – Die hartnäckigsten Vorurteile sind, dass NA-Bücher keine Tiefe haben, schlecht geschrieben sind und sich nur um Erotik drehen. Es wird oft behauptet, dass diese Bücher nur aufgrund von Erotik, schönen Covern, Goldfolie, Glitzer, Farbschnitten und Illustrationen verkauft werden. Das ist frustrierend, weil es auch die große Leserschaft abwertet. Leider kommen diese Vorurteile aber auch aus den eigenen Reihen, von Autor:innen, die die Branche kennen und trotzdem NA abwerten.
Wie ist das Feedback Ihrer Leserschaft?
Dutter – Meinen Leser:innen gefällt es, wie Themen sensibel aufgearbeitet werden. Ja, wir schreiben auch Spicy Scenes, aber es geht um so viel mehr. New-Adult-Romane trauen sich mehr als Jugendbücher, sie behandeln aber auch nicht die Alltagsprobleme von Figuren ab dreißig. Zudem schaffen wir ein Bewusstsein dafür, was 2024 verletztende Sprache sein kann.
Welches Ihrer Bücher kam am besten bei der Community an?
Dutter – Zum einen mein neues Buch „Never Kiss a Villain“, weil ich damit dank TikTok und Instagram sehr viele Leute erreicht habe. Ich habe ein halbes Jahr beinahe täglich Videos für das Buch hochgeladen, Buchboxen gebastelt und verschickt und so weiter. Eine Story, in der nicht alle perfekt sind, das reizt viele Lesende. Zum anderen aber auch mein Buch „Starlight in Our Dreams“, weil es auch viele Leute angesprochen hat, die die Serie „Heartstopper“ mögen.
Sie sind auf Instagram und TikTok sehr aktiv. Werden Ihnen Social Media manchmal zu viel?
Dutter – Instagram mit eben fast zehntausend und TikTok mit um die elftausend Followern sind wichtige Plattformen für mich und andere Schreibende geworden. Das Feedback ist meist positiv, viele schreiben auch lange Nachrichten darüber, wie ihnen meine Bücher geholfen haben. Aber es steckt auch viel Glück hinter erfolgreichen TikToks oder Reels. Manchmal beanspruchen Social Media allerdings mehr Zeit als das Buchschreiben selbst. Oft ist es mittlerweile leider nur noch unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass die Zahlen gut sind. Das kann manchmal zu viel werden, denn so viel Freude Social Media auch bereiten, der Druck ist groß. In solchen Momenten ist es wichtig, ein gutes Netzwerk aus befreundeten Autor:innen zu haben sowie eine unterstützende Literaturagentur.