anzeiger 7/8/24 – Keine Scheu vor der Realität

Den Kinderpsychiater und Schriftsteller Paulus Hochgatterer fasziniert die menschliche ­Psyche ebenso wie das Schreiben. Auch will er dabei Imagination und Wirklichkeit nicht trennen

Interview: Erich Klein

Der Autor und Kinder- und Jugendpsychiater Paulus Hochgatterer, 1961 in Amstetten geboren, studierte Medizin und Psychologie an der Universität Wien. Seit 2007 ist er Primar der Klinischen Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum Tulln. Hochgatterer lebt in Wien. Zuletzt erschienen „Katzen, Körper, Krieg der Knöpfe. Eine Poetik der Kindheit, Reden, Aufsätze, Vorlesungen. Essays“ (Deuticke 2012), die Erzählung „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ (Zsolnay 2017) und der Roman „Fliege fort, fliege fort“ (Zsolnay 2019). Sein 2008 im Schauspielhaus Graz uraufgeführtes Theaterstück „Böhm“ hatte kürzlich Berlin-Premiere am Deutschen Theater. Im Rahmen des Bruckner-Jahres findet am 9.  Oktober im Linzer Posthof die Uraufführung von „Der schlafende Wal“ statt.

Herr Hochgatterer, was macht für Sie die Faszination der Kindheit aus?

Paulus Hochgatterer: Gewagt, einem Kinderpsychiater diese Frage zu stellen, und schwierig. Es lohnt, sich mit Kindern und Kindheit auseinanderzusetzen. Die faszinierendste Zeit sind das zweite und dritte Lebensjahr, wenn sich Kinder der Welt bemächtigen – sprachlich, motorisch, sozial. Die Kinder fangen an zu reden, zu gehen, außerhalb der dyadischen Beziehung zur Mutter oder der primären Bezugsperson mit anderen in Beziehung zu treten.

Das ist die Antwort des Kinderpsychiaters …

Hochgatterer: Nein, das ist auch die Antwort des Schreibenden. Wenn ich ein bisschen aushole: Das Faszinierende an der Kindheit ist das Gefühl, dass alles sei neu, alles offen, jede Richtung möglich. Was natürlich auch eine Illusion ist. Ein Kind zu sehen, wie es zum ersten Mal geht, steht, sich umschaut und in der Lage ist, sich von der Mutter zu trennen und autonom eine Richtung zu wählen – dieses Bild hat mich auch als Schreibenden immer fasziniert.

Der vorsprachliche, quasi brabbelnde Zustand hat Avantgardeautoren inspiriert …

Hochgatterer: Das hat mich nie interessiert. Es gibt einen tiefen, seltsamen und großartigen kleinen Text von Adalbert Stifter, „Der Weg nach Schwarzbach“, in dem er ein Kind beschreibt. Die Geburtssituation eines Kindes und die allerersten Lebensmonate. Dieser Text ist zugleich faszinierend und spekulativ. Mich interessiert die Zeit, die danach kommt, viel mehr.

Wann wurde Ihnen klar, dass Jugendliche zentrale Figuren Ihrer Bücher sein werden?

Hochgatterer: Eine Frage, die mir noch nie gestellt wurde. Wahrscheinlich bei meinem Debüt, von dem keiner mehr weiß. Meine erste Publikation hieß „Rückblickpunkte“ und entstand aus einem gewonnenen Literaturwettbewerb. Das war eine Adoleszenz­geschichte über einen Maturanten, über hundert Seiten lang.

Fließt Ihre Arbeitserfahrung als Kinderpsychiater in die schriftstellerische Arbeit ein?

Hochgatterer: Ich glaube, dass es diese Arbeitserfahrung nicht gegeben hätte, wenn mich Kinder und Jugendliche nicht immer schon interessiert hätten.

Das Verhältnis von Autor und Arzt ist sozusagen bipolar …

Hochgatterer: In diesem Sinn bin ich ­sicher bipolar. Es gibt Spiele, bei denen ein Gewicht von der einen Seite auf die andere Seite rollt, ein Hebel gezogen wird, und dann läuft die Kugel zurück. So ähnlich ist das auch bei mir. Es klingt vielleicht kokett, hat aber mit dem Gewicht des Leidens an der jeweils anderen Sache zu tun. Wenn ich genug an der Kinderpsychiatrie leide, entsteht das Gefühl, jetzt sollte ich wieder mehr schreiben. Umgekehrt ist es wahrscheinlich auch so. Es hat jedenfalls nichts mit der oft gestellten Frage nach einer Selbsttherapie zu tun. Wahrscheinlich ist es eine psychohygienisch-pragmatische Entscheidung.

Wie erfolgt die Weichenstellung zwischen Arzt und Autor?

Hochgatterer: Diese Weichenstellung war keine – oder für mich ganz einfach. Meine Mutter war das mittlere von neun Kindern, acht Töchter und ein Sohn, einer Mostviertler Bauernfamilie. Die erste, die maturiert hat. Für meine Mutter war Lesen, das Buch, das geschriebene Wort ein Medium der Befreiung. Wobei Befreiung nicht ganz stimmt, weil sie immer bewusst in diesem Soziotop verankert blieb. Eine Zeit lang hat sie als Redakteurin einer katholischen Wochenzeitschrift in Wien gearbeitet. Lesen und Schreiben war für sie zentral. Mein Vater war der Sohn eines kleinen Eisenbahners in der Nähe von Amstetten, der Lehrer werden durfte, weil seine Lehrerin gesagt hatte, der Bub sei gescheit, lasst ihn was werden. Seine Eltern haben seine Ausbildung unter großen Entbehrungen bezahlt, so wurde er Lehrer. Für mich gilt dasselbe: Lesen und Bücher waren das Medium der Befreiung aus dieser kleinen Gesellschaft.

Der Impuls ist also auf Sie übergesprungen.

Hochgatterer: Das Buch als etwas, das die Welt öffnet, einen befreit und bereichert, ist auf mich übergesprungen. Das wurde mir von meinen Eltern vermittelt. Lesen war zumindest genauso wichtig wie Essen und Trinken.

Sie schreiben, dass Sie dreiundfünfzig Bände Karl May gelesen haben …

Hochgatterer: Das war eine Konkurrenzgeschichte mit meinem Vater. Er erzählte gern die Geschichte, wie er in der kleinen Nebenerwerbslandwirtschaft am händischen Butterrührgerät stand und sich ein Lesepult baute, um Karl May zu lesen, während er Butter rührte. Wie viel Karl May mein Vater tatsächlich las, weiß ich nicht mehr. Ich aber habe alle Bände, die es in der Stadtbücherei Amstetten gab, gelesen.

Was blieb sonst aus der Stadtbücherei in Erinnerung?

Hochgatterer: Ich las eine Zeit lang fast wahllos. Natürlich habe ich doch ausgewählt, zum Beispiel Science-Fiction-Romane. Da gab es Bücher über die sogenannte Hohlwelt-Theorie, der zufolge wir uns im Inneren einer Kugel befinden. Wahrscheinlich hat auch das mit meinem Vater zu tun, der ganz fasziniert von den Perry-Rhodan-Heftchen erzählte, die er in seiner Jugend gelesen hatte. Ich
erinnere mich auch an die Lektüre von „Der Schakal“. Das Buch hat mich unglaublich ­fasziniert.

Die Deutschlehrer im Gymnasium waren wichtig?

Hochgatterer: Der Deutschlehrer im Gymnasium in Amstetten war insofern wichtig, weil ich mich bis heute an Dinge erinnere, über die andere üblicherweise jammern oder stöhnen: eine Lektüre von „Faust I“ über ein halbes Jahr lang und in unerbittlicher Genauigkeit. Ich habe damals verstanden, dass ich nicht alles verstehe, was in dem Stück steht, aber dass es ein ziemlich gutes Theaterstück ist. Leider sind wir im Literaturgeschichteunterricht nur bis zu Kafka gekommen. In der sogenannten Literaturpflege, einem Freifach, wurde erstmals Thomas Bernhard gelesen, ein Erweckungserlebnis.

Bernhard – nicht Handke?

Hochgatterer: Nein! Ich nicht Handke, ich Bernhard! (lacht) Das hat wahrscheinlich mit dem Affekt hinter der Sprache zu tun hat. Die Unerbittlichkeit in der Sprache, die ich bei Bernhard finde, finde ich bei Handke nicht.

Haben schreibende Ärzte wie Tschechow oder Gottfried Benn für Sie Bedeutung?

Hochgatterer: In Wahrheit – nein.

Auch Schnitzler nicht?

Hochgatterer: Schnitzler – nein. Weil es niemand sonst interessierte, habe ich im Schulunterricht einmal den „Leutnant Gustl“ vorgelesen. Meine allererste „Publikation“, unter Anführungszeichen, war eine Deutschschularbeit, die im Jahresbericht des Gymnasiums Amstetten abgedruckt wurde. Eine Schularbeit zum Thema „Arthur Schnitzler und das Fin de Siècle“, die ich in Hexametern verfasste. (lacht) Ich war damals siebzehn, und ein blöder Deutschlehrer hätte wahrscheinlich gesagt, das ist eine Themenverfehlung. Aber dieser Deutschlehrer fand das ziemlich super. Es gab also doch etwas zwischen Schnitzler und mir, aber „Professor Bernhardi“ hat mich nie interessiert.

Ein hoher Prozentsatz von Jugendlichen ist heute nicht imstande, sinnerfassend zu lesen. Wie reagieren Sie auf derartige Hiobsbotschaften?

Hochgatterer: Ich stelle die Gegenfrage: Was wäre herausgekommen, wenn man diese Untersuchung vor fünfzig Jahren gemacht hätte? Tendenziell können Jugendliche besser lesen als damals. Es verändert sich einfach viel, auch in den Kulturtechniken. Es ist ja nicht so, dass die nicht mehr lesen können. Nimmt man das reine Wortvolumen, das Jugendliche beim Schreiben verwenden, dann ist das ungleich größer als vor zwanzig oder vierzig Jahren. Sie schreiben anders und mithilfe ihrer elektronischen Hilfsmittel. Aber es gibt eine Sprache, die gesprochen und benützt wird. Sie mag unserer Generation oft fremd sein, aber es gibt sie.

Haben Klassiker noch Relevanz und sollte man sie lesen?

Hochgatterer: Ja, man sollte sie lesen. Interessiert man sich für Architektur, sollte man bestimmte Gebäude gesehen haben. Genauso verhält es sich mit der Literatur, wenn man sich für Literatur interessiert oder wenn einem literarisch Geschriebenes nicht egal ist.

Wer war für Sie wichtig?

Hochgatterer: In meiner Sozialisation gab es Themen, die für mich wichtig waren und es auch geblieben sind. Zur Zeit der Matura habe ich mich, angeregt durch meine Eltern, mit Stifter beschäftigt. Wenn es hieß, „Stifters ,Nachsommer‘ schaffst du nie“, habe ich partout Stifter gelesen. Alles, was ich finden konnte.

Selbst „Witiko“?

Hochgatterer: Unter Mühen und Plagen selbst „Witiko“. Eine wirkliche Bußübung. „Nachsommer“, das muss ich leider sagen, habe ich gern gelesen. „Die Mappe meines Urgroßvaters“ sowieso. Mein Spezialgebiet bei der Matura war „Hagestolz“. Es ist nicht so, dass ich jetzt ständig Stifter lese, aber er ist mir nahe geblieben. Es gibt in seinem ­Schreiben etwas Unverwechselbares und Zwingendes, das mich noch immer fasziniert. Später gab es eine Doderer-Phase, die mit einer Taschenbuchausgabe von „Ein Mord, den jeder begeht“ begann. Es wurde dann aufgrund seiner Person zu einer distanzierteren Beziehung, aber „Die Merowinger“ ist eine Pflichtlektüre für einen Psychiater.

Sie haben mit Ihren eigenen Romanen den Arzt-Roman rehabilitiert.

Hochgatterer: Ich habe nie einen Arzt-Roman gelesen. Mir fällt nicht einmal ein berühmter Arzt-Roman ein. Aber ich mag das Spital als Bühne, als einen Ort, an dem ich mich ohnehin gern aufhalte. Es verwundert allerdings, dass niemand darüber schreibt. Ich habe diesbezüglich nur eine Vermutung: Vor dem Physischen und dem, was im Spital stattfindet, macht die literarische Erzählung halt. Dort passieren Dinge, die mit Körpersäften und Organen zu tun haben, die einem ganz nah sind, wofür man aber kaum eine Sprache hat. Und diejenigen, die eine Sprache hätten, schreiben nicht darüber. Ich finde das schade, weil in Spitälern passiert viel, worüber es sich zu schreiben lohnte.

In Ihren Büchern tauchen immer wieder Lyrik-Zitate auf. Lesen Sie Gedichte?

Hochgatterer: Ich habe zwar am Anfang schwärmerische Gedichte geschrieben, parallel zur Prosa oder vielleicht sogar davor. Das hat natürlich mit dem Deutschunterricht zu tun – ich habe das gelesen, was man als ­literaturaffiner österreichischer Jüngling las: ­Rilke, Trakl, George und Bachmann.

Und heute?

Hochgatterer: Kaum.

Was täten Sie, würde man Ihnen das Schreiben untersagen?

Hochgatterer: Wie könnte das passieren? Das ist eine sehr schwierige Frage, weil ich mir das gar nicht vorstellen kann. Von außen könnte man mir das Schreiben wahrscheinlich nicht untersagen, in irgendeiner Form würde ich das trotzdem zustande bringen. Würde mir die Fähigkeit zu schreiben von innen genommen, würde ich bemerken, dass ich dement werde – eine Tragödie für mich. Was ich dann täte, weiß ich nicht. Es wäre ein elementares Ereignis für mich.

Peter Bichsel meinte einmal, Erzählen erzählt immer vom abwesenden Leben …

Hochgatterer: Ich kann mit dem Satz etwas anfangen, müsste aber erst nachdenken, weil ich noch nicht weiß, ob ich ihn für richtig halte. Wenn man den Prozess des Schreibens betrachtet, dann stimmt das. Die Position zur Wirklichkeit ist notwendigerweise eine, die sich außerhalb derselben befindet. Aber Schreiben hat mit dem zu tun, was wir als Realität bezeichnen. Die Trennung zwischen Imagination und der Möglichkeit, Dinge zur Sprache zu bringen oder in Sprache zu formen, und der Wirklichkeit halte ich für ein Artefakt. Das polare Konstrukt, Imagination auf der einen und Wirklichkeit auf der anderen Seite, funktioniert für mich nicht. Jetzt sage ich etwas Böses: Das ist vielleicht eine Konstruktion, mit der manche schriftstellerische Kollegen ihre Scheu, sich mit Realität zu konfrontieren, rechtfertigen. Mir fällt der großartige Roman „Ein anderes Leben“ von Per Olov Enquist ein, in dem er über sein Leben als Alkoholiker schreibt. Dort heißt es: Das Schreiben ist die einzige Situation, in der er keine Angst hat. Es gibt eine Berührung zwischen Realität und Imagination. Das eine ist ohne das andere nicht vorstellbar. Diese Berührungsfläche ist für mich das, wo Literatur entsteht.

In Ihrer Erzählung „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs spielt, lassen Sie für Ihre Figuren die Möglichkeit offen, dass alles immer auch anders geschehen könnte.

Hochgatterer: Banal ausgedrückt war das Motiv hinter dieser Verzweigung, dem Guten in der Geschichte Legitimität zu verschaffen. Wir alle haben nicht nur das Bedürfnis, sondern auch das Recht, uns Geschichten gut zu Ende denken zu dürfen. Es geht aber um noch mehr. Neben der Legitimität des guten Endes wird auch gezeigt, dass es als Alternative zum Schrecken, mit dem man sich nicht konfrontieren möchte, auch etwas anderes gibt als die Verleugnung. Das funktioniert aber nur dann, wenn man das Schreckliche präsent hält. Die Variante mit dem guten Ende ist nur dann sinnvoll und legitim, wenn die Originalvariante mit dem schlechten Ende vorhanden bleibt. Daher diese zwei nebeneinandergestellten Varianten. Ich kann den Grund für diese Zweigleisigkeit benennen. Mein Vater war Jahrgang 1932, und während des Zweiten Weltkriegs zogen Beamte in die öffentlichen Schulen und suchten deutsche Jungs für die „Napola“, die Nationalpolitische Lehranstalt im Dritten Reich, oder Mädels für die entsprechenden Mädchenschulen. Mein Vater und sein Zwillingsbruder waren gescheite, blonde Buben vom Land, aber mein Vater hatte an diesem Tag einen Abszess im Nacken und hielt den Kopf schief. Die sagten dann: „Der hält den Kopf so schief, den nehmen wir nicht. Den Bruder würden wir nehmen.“ Der Zwillingsbruder meines Vaters sagte: „Ohne meinen Zwillingsbruder gehe ich nicht.“ Mein Vater hat immer gesagt, er wisse nicht, was aus ihm geworden wäre, wenn er damals diesen Abszess nicht gehabt hätte. Er hat auch nie behauptet, dass er nie ein Nazi geworden wäre, er hat für diesen Moment, ohne ihn pathetisch aufzublasen, immer beide Möglichkeiten offengelassen. Auf solche Momente, da die Dinge auf Messer Schneide stehen, muss man hinschauen.

Im Theaterstück über den Dirigenten Karl Böhm haben Sie ein Lieblingsterrain Ihrer Interessen, die Musik, mit der Nazi-Geschichte überblendet. Warum?

Hochgatterer: Ich hätte das nie geschrieben, wäre nicht der Regisseur Nikolaus Habjan auf mich zugekommen. Er wusste, dass ich mich mit Musik beschäftige und Opernliebhaber bin. Irgendwann haben wir auch über Karl Böhm gesprochen. Mein Vater hat die Einspielungen der Beethoven-Sympho­nien mit Böhm sehr gemocht, ich nie. Daraus entstand das Stück, das auch die Möglichkeit bot, mich mit der Person Karl Böhm eingehender auseinanderzusetzen. Das war dann faszinierender, als ich anfangs gedacht hatte.

Hat es Sie nicht geschmerzt, im Elysium der Musik die Nazis zu entdecken?

Hochgatterer: Es hätte mich geschmerzt, wenn es in mir eine Idealisierung von Karl Böhm gegeben hätte. Die war aber nur gebrochen in Gestalt der Idealisierung durch meinen Vater vorhanden. Das Letzte, was er noch vor seinem Tod gehört hat, war die „Pastorale“, Beethovens Sechste Symphonie, dirigiert von Böhm. Das hat er geliebt – ich kann es auch verstehen und gelten lassen. Es gibt zu Böhm viel idealisierende Forschung, in der es etwa heißt, er sei ein großer Mozart-Dirigent gewesen. Ich halte ihn überhaupt nicht dafür! Aber wenn man Wagner mag, sein „Ring“ ist wirklich gut. Das ist die alte Frage: Kann man ein Verbrecher oder Arschloch sein und trotzdem ein guter Musiker? Ich glaube, ja. Das schmerzt, aber ich glaube, so ist es. Gott sei Dank gibt es nicht viele von denen, oder zumindest kenne ich sonst keinen, von dem man das sagen kann.

Noch eine Frage zur Kinderliteratur: Was halten Sie davon, dass jetzt eine Otfried-Preußler-Schule umbenannt wird?

Hochgatterer: Diese ganze PC-Diskussion im Zusammenhang mit Kinderliteratur halte ich ganz schlecht aus. Auch im Zusammenhang mit Astrid Lindgren. Verkürzt ausgedrückt: Ich bin immer für den Originaltext. Wenn er einen Kommentar braucht, dann soll es einen geben. Aber bitte lasst den Text in Ruhe. Und Otfried Preußlers „Räuber Hotzenplotz“ war ein ganz wichtiges Buch meiner Kinder.

Sie haben schon längere Zeit keinen Roman mehr veröffentlicht. Woran arbeiten Sie gerade?

Hochgatterer: Ich habe auch aus pragmatischen Gründen mehr fürs Theater gemacht. Anfang Oktober hat im Rahmen des Bruckner-Jahr-Monstrums im Linzer Posthof mein Stück „Der schlafende Wal“ Premiere. Es ist ein kleines Stück mit Puppen, das Manuela Linshalm spielt. Und jetzt habe ich ein Stück über Max Reinhardt geschrieben, auch eine Auftragsarbeit, von der noch nicht klar ist, wann sie auf die Bühne kommt.

Hochgatterer Paulus HF1 Corn 2017
(c) Heribert Corn
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