Dem Lojze Wieser hat der spätere Literaturnobelpreisträger etwas versprochen und es gehalten. Eine Motivation für Wieser, seinen ersten Verlag zu gründen. Vor nicht langer Zeit hat er von Handke wieder einen Stups bekommen, der hat zu einem Buch geführt, und wer weiß…
Interview: Erich Klein
Lojze Wieser wurde 1954 in Klagenfurt geboren. Nach einer Buch- und Handelslehre arbeitete er in Wien in Buchhandlungen und Druckereien und gründete seine eigene Druckerei. Von 1981 bis 1986 war er Leiter des Drava Verlages, den sein eigener Verlag dann 2016 kaufte. Ab September 2013gestaltete er mit Martin Traxl und Florian Gebauer im ORF die Sendereihe „Der Geschmack Europas“ mit kulinarischen Reisereportagen. Die daraus entstanden Journale mit Rezepten wurden vielfach ausgezeichnet. Neben der Reihe „Europa erlesen“ publizierter er unter anderem: „Europa leben/Evropo živeti“, „Die slowenische Köchin/Slovenska kuharica“ (gemeinsam mit Fabjan Hafner, Wieser Verlag 2006), „Kochen unter anderen Sternen -Geschichten von entlegenen Speisen erzählt von Lojze Wieser“ (Czernin Verlag 2007) und „Mit klarem Blick hingehen, an den Rand oder die Erinnerung ist das einzige Paradies“ (2021).
Wann wurde Alois Wieser zu Lojze Wieser?
Lojze Wieser: Namen sind Schall und Rauch. Es gibt unzählige Varianten, wie ich genannt werde. Der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat einmal einen Brief an Frau Lojze Wieser geschrieben. Einmal erhielt ich einen Brief mit zyrillischer Anschrift. Da merkt man, wie wichtig es ist, dass die österreichische Post Serben und Osteuropäer eingestellt hat. Als Kind war ich immer der „Loisi“ Der Chefkoch während meiner Kochlehre hat mich Louis genannt.
Sie sind in Tschachoritsch / Čahorče, einem zweisprachigen Kärntner Dorf aufgewachsen.
Wieser: Das Dorf lag in meiner Kindheit in einer ausgesprochen slowenischen Gegend, dreizehn Kilometer südwestlich von Klagenfurt in der Gemeinde, in der ein unseliger Landeshauptmann verunglückt ist. In meiner Kindheit gab es keine Notwendigkeit, deutsch zu sprechen. Ich wurde mit dem Deutschen erst in der Volksschule konfrontiert. Als ich 1981 aus Wien zurückgekommen bin, und die Buchhandlung „Naša kniga“ sowie den Drava-Verlag übernommen habe, hat mich geärgert, dass ich als slowenisch sprechender Kärntner immer erklären sollte, wer ich bin. Damals habe ich mich entschlossen, als Lojze aufzutreten, um nicht immer wieder meine Herkunft erklären zu müssen.
Ihre ersten Geschichten und Bücher – und in welcher Sprache?
Wieser: Sehr viele slowenische Bücher, die es bei uns zuhause gab. Der Vater war bei der Buchgemeinschaft vom Globus-Verlag. Zu Weihnachten kam immer ein Buchpaket, das dann in der Nachbarschaft verkauft wurde.
Was war der Vater von Beruf?
Wieser: Ursprünglich Maurer, hat aber im Krieg eine Kopfverletzung erlitten, und als hundertprozentiger Kriegsinvalide daheim. Die Mutter war Hausfrau. Im Hause sind immer Bücher gewesen, wir haben sehr viel slowenisch gelesen. Darunter oft auch nicht altersgerechte Bücher. Als meine Eltern ein einziges Mal auf Urlaub fuhren, kam ich zu einem Nachbarn, ehedem Organisator des Widerstandes. Er sagte: “Geh auf den Dachboden, da habe ich Kisten von Büchern: Such dir welche aus.“ Ich erinnere mich noch an die „Schildbürger“ auf Slowenisch, ein großer Spaß.
Wie stark war die Diskriminierung der Kärntner Slowenen in den 1960er-Jahren?
Wieser: Noch sehr stark. Im öffentlichen Raum wurde praktisch nur Deutsch gesprochen. Es gab solche, die bis in die 1980er-Jahre in der Öffentlichkeit kein Wort auf Slowenisch sagten. Das hat sich wesentlich geändert, und dafür war unter anderem auch die Literatur verantwortlich. 1980 gab es kein einziges slowenisches Buch auf Deutsch. Slowenische Bücher, die in Kärnten geschrieben wurden, fanden hier keinen Verlag. „Der Zögling Tjaž“ von Florjan Lipuš erschien 1972 in Maribor. Der Verlag Hermagoras machte katholische Literatur oder antikommunistische Emigrantenliteratur, unternahm jedoch nichts, um slowenische Literatur zu fördern. Es gab einen Weihnachtskalender der Kulturverbände, die zwei oder drei Bücher mitlieferten, einfache Abendliteratur. Der Kalender hat über Jahrzehnte die Sprache gelehrt. Eine Ausbildung in der Sprache gab es nicht.
Sie haben das slowenische Gymnasium besucht …
Wieser: Es war kurios. In der Volksschule bin ich der einzige gewesen, der auf das slowenische Gymnasium kommen sollte. Alle anderen haben die Hauptschule besucht. Bis zum Schulinspektor wurden alle möglichen Personen aufgetrieben, um mich vor der Klasse zu zwingen, nicht auf das Gymnasium zu gehen, sondern wie alle anderen zur Hauptschule. Ein ganz bewusster Versuch, mich davon abzubringen, auf das slowenische Gymnasium zu gehen. Ich habe es nach fünf Jahren verlassen und nach dem ersten Lehrjahr bei vier Buchhandlungen eine Lehre als Buchhändler in Wien fortgesetzt. Zuerst in der Zentralbuchhandlung, nach vier Monaten dann beim „Internationalen Buch“. Beides gehörte zum Globus-Verlag. Danach habe ich ein Jahr bei Brigitte Hermann gearbeitet.
Warum die Lehre bei den Kommunisten?
Wieser: Weil der Vater bis 1968 Kommunist gewesen war und einige Leute kannte. Ich habe einen Monat lang eine Kochlehre gemacht, wollte das aber gar nicht. Mein Bruder hat dann den Vater überredet: Lass ihn etwas anders machen, er soll Buchhändler werden. Ich bin per Autostopp nach Wien gefahren, zum Globus-Verlag gegangen und habe mich dort vorgestellt. Als Lehrbub in der Druckerei habe ich mit den Druckern einen Streik organisiert, weil die Bedingungen für Lehrlinge nicht besonders gut waren. Sie haben unsere Forderungen erfüllt, bevor wir zum Streiken gekommen sind. Ab 1974 habe ich in Wien eine eigene Druckerei betrieben. Als einziger Proletarier bin ich Maoist geworden, und habe mit Robert Schindel zusammengewohnt, als der zu den Maoisten gekommen ist.
Sie gingen dann aber nach Kärnten zurück …
Wieser: Es gab bei den Maoisten mehrere Spaltungen, auch hat mir die Atmosphäre in der politischen Diskussion nicht mehr gefallen. Im Herbst 1980 habe ich „Gämsen auf der Lawine“ herausgebracht, die Geschichte des Kärntner Partisanenkampfes. Zehn österreichische Verlage, von Jugend und Volk bis Löcker, haben es abgelehnt, das Buch zu verlegen. Ich selbst habe mich nicht getraut, einen Verlag zu gründen und bin zum alten Herrn Zwitter gegangen, dem politischen Führer der linken Slowenen, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Drau-Verlags. Würde er mir den Namen borgen? Ja, aber nur, wenn sie kein finanzielles Risiko tragen müssten. Im September 1980 ist das Buch im DÖW vorgestellt geworden. Innerhalb eines halben Jahres habe ich von meinem Wohnzimmer aus die Hälfte der Auflage verkauft.
Der Drau- bzw. Drava-Verlag war ein Vorbote des Wieser Verlages?
Wieser: Drava ist 1953 gegründet worden, und hat bis 1979 zwölf Bücher verlegt. Nach meiner Übernahme 1981 hat der Verlag bis 1985 knapp hundert Bücher herausgebracht. Es ist zu einer Trennung im Streit gekommen, und ich habe begonnen, bei einer Versicherung zu arbeiten, dann habe ich meinen Verlag gegründet. Peter Handke, den ich seit der Präsentation seiner Übersetzung von „Der Zögling Tjaž“ im Stadthaus in Klagenfurt gekannt habe, hat 1984 von mir das slowenisch-deutsch Wörterbuch von Maks Pleteršnik aus 1894/95 bekommen. Für ihn eine Initialzündung – er hat damals an der „Wiederholung“ geschrieben. „Wenn du einen eigenen Verlag machst, schenke ich dir die Rechte für die slowenische Ausgabe der ,Wiederholung‘, hat er versprochen und Wort gehalten. Deshalb habe ich in meinem Programm 1987/88 Handke als drittes Buch gemacht.
Begann damit Ihre aktive Jugoslawienzeit?
Wieser: Wir haben auf Anregung meines Bruders, der in Ljubljana mit einem späteren Verleger studiert hatte, das slowenische Programm mit dem Triestiner Slowneischen Verlag ZTT/EST (Založništvo tržaškega tiska/Editiriale stampa Triesetina) gemeinsam gemacht. Bei der Präsentation im November 1981 habe ich gesagt: Wir brauchen keine Grenzen verschieben, wir sind mit der Literatur wie der Äther im Radio, Literatur ist grenzenlos. Daher bilden wir einen gemeinsamen, einheitlichen, slowenischen Kulturraum. Wir wollten keine Kriege, sondern durch Kultur die Vereinigung über Grenzen hinweg betreiben, ohne den Zwang durch Kriege Grenzen zu verschieben. Würde man Literatur systematisch übersetzen, trüge dies weit mehr zum Verstehen der Menschen untereinander bei als politische Regulation, oder was man dafür hält. Ich habe damit beigetragen, dass die slowenische Literatur in Kärnten erst sichtbar wurde und die slowenische Literatur ins Bewusstsein gebracht. Es hat eine Renaissance der slowenisch schreibenden Literatur in Kärnten eingeleitet: Maja Haderlap, Cvetka Lipuš, Fabjan Hafner, Jani Oswald und wie sie alle heißen. Das ist bis 1993 gut gegangen, damals ist der Jugoslawienkrieg schon im Gang gewesen. Danach hat die nationale Differenzierungen begonnen. Außerdem sind dann die Briefbomben gekommen, ich habe drei Morddrohungen erhalten. Auch das hat mich an den Abgrund geführt. Ich bin ökonomisch am Ende gewesen, und von vielen als wirtschaftlich unfähig beschimpft worden. Tatsache ist, dass diese erste positive Erweiterung und Aufnahme der Literatur Südosteuropas und Osteuropas gestoppt worden ist.
Dann kam die Reihe „Europa Erlesen“…
Wieser: Ja, als Antwort auf diese große Krise. Ich habe allen gekündigt, von Bröseln am Tisch gelebt, und schließlich „Europa erlesen“ gegründet. Dieses Projekt hat sich so positiv entwickelt, dass basierend darauf der Verlag weiter existieren konnte. Danach ist in Zusammenarbeit mit der Bank Austria Literaris entstanden, die Reihe der „Edition Zwei“. Wir haben aus dem Slowenischen an die zweihundertfünfzig Bücher übersetzt, aus dem Ungarischen und aus dem Bosnischen an die vierzig, aus den Serbischen, Kroatischen, Bulgarischen, Rumänischen, Slowakischen und Tschechischen jeweils zwischen dreißig und siebzig. Das hat damals kein anderer gemacht. Alle, die später im deutschsprachigen Raum eine Rolle gespielt haben, also zumindest aus Südosteuropa, sind über uns gekommen. Dževad Karahasan, Dragan Velikić, Drago Jančar oder Bogdan Bogdanović. Sie sind dann abgeworben worden.
Einer der großen verlegerischen Erfolge in jüngerer Zeit war der fünfbändige Roman „Die Fahnen“ des kroatischen Autors Miroslav Krleža.
Wieser: Ich habe Krleža immer sehr geschätzt und „Die Fahnen“ 38 Jahre lang vorbereitet. Die Idee, dieses Werk herauszugeben, ist erstmals 1978 an mich herangetragen worden. Zehn Jahre vorher ist es in Sarajewo erschienen, weil es in Zagreb nicht erscheinen durfte. Eine Geschichtsdarlegung Europas über 120 Jahre, die es in keiner deutschsprachigen oder sonstigen internationalen Literatur gibt. Dreitausend Seiten lang. Ich, ein kleiner Drucker, ohne Ahnung vom Verlagswesen. Doch Krleža ist sogar bereitgewesen, das Buch auf achthundert Seiten zu kürzen. So habe ich überlegt. Doch dann ist Krleža, und dann die Übersetzerin gestorben. Doch mein Traum ist immer weitergegangen, 38 Jahre lang. Dann ist dieses große Werk erscheinen. Wir werden drei- vierhundert Exemplare verkaufen, habe ich gedacht, doch sind dann knapp zweitausend Boxen geworden! Krleža ist damit im deutschsprachigen Raum wirklich angekommen.
2004 erhielten Sie den Berufstitel „Professor”. Zwei Jahre später trat die Slovenska kuharica, die slowenische Köchin auf den Plan. Ihre Lieblingsspeisen?
Wieser: Käferbohnen mit Zwetschgenröster und Polenta mit Kaffee. Polenta, gekocht, in den Kaffee hinein. Herrlich! Das haben wir als Kinder zum Frühstück bekommen. Der Vater hat noch Grammel dazu gegeben. Die Fettaugen auf dem Kaffee hat man ja nicht ausgehalten! Mir hat auch die Haut auf der Milch geschmeckt. Die Käferbohnen mit Zwetschkenröster hat man nur in ein, zwei Dörfern gegessen, unsere Mutter hat es von der Großmutter übernommen. Wenn du kalte Milch dazu trinkst, übertrifft das den Eiweißgehalt von Fleisch.
Wie viele Regionen hat die vom ORF produzierte Serie „Der Geschmack Europas“ umfasst?
Wieser: In zehn Jahren dreißig Filme. Das westlichste Land Portugal, das südlichste Sizilien, im Norden Schlesien, Böhmen und Mähren. Daraus sind drei Bücher geworden, alle ausgezeichnet. Es ist eine Fortsetzung der Reihe „Europa erlesen“ gewesen. Ich hatte 2007 schon „Kochen unter anderen Sternen“, bei Czernin erschienen, über die Küche meiner Kindheit und meiner Mutter geschrieben. Mir ist es nicht um Fine-dining-Küche gegangen, in der Fernsehsendung sollte die Küche der Mütter und Großmütter vorkommen und wir haben 2009 beim Symposion Geist & Gegewart im steirischen Seggauberg das Thema des Geschmacks Europas behandelt. Dazu habe ich eine siebzigteiliges Menü rund um Europa kreiert und mit Barbara Maier, meiner Frau, und Cristoph Wagner das Büchlein “Geschmachsverwandtschaften” als Menükarte geschrieben.
Was tut Lojze Wieser, nachdem er jetzt sein Lebenswerk an die neue Verlegerin Erika Hornbogner übergeben hat? Die Buchmessen ohne Pršut am Wieser-Stand?
Wieser: Ich habe die Pršut–Abschiedsvorstellung in Leipzig gegeben. Damit ist es gelaufen. Die Jüngeren müssen sich was anderes einfallen lassen. Auch das Fernsehen ist vorbei. Ich habe aber noch einiges aufzuarbeiten – verschiedene Essays schreiben, vielleicht auch noch den vierten Band von „Geschmack Europas“. Ich habe Ende März übergeben, ab Herbst wird es etwas ruhiger werden.
Wozu sind Sie nicht gekommen?
Wieser: Trotz aller Höhen und Tiefen, ich bin dreimal existenziell gestrauchelt, aber nie gefallen, habe ich viel Glück gehabt. Ich habe alles in Bücher gesteckt, und besitze jetzt ein Sparbuch – damit ist gerade das Begräbnis bezahlt. (lacht) Wenn ich mit meiner Frau Barbara zusammensitze, sagen wir oft: Wir erleben in einer Woche, was andere in einem Jahr nicht erleben. Und das macht uns Freude. Alles, was existiert, wird zu einem Buch. Das ist der Slogan gewesen, den wir damals gemeinsam mit Ludwig Hartinger vor uns hergetragen haben. Ich sehe immer noch viel, das zu einem Buch werden könnte. Der Verleger Klaus Wagenbach hat einmal zu mir gesagt: „Du weißt ja, Lojze, wir machen Bücher, die die Leute lesen sollen, nicht die, die sie lesen wollen!“ (lacht). Dafür braucht man Sponsoren und Fördermittel, weil sich diese Bücher in der Regel nicht vom ersten Tag an gut verkaufen. Mir sind trotzdem Bestseller gelungen, „Europa erlesen“ ist insgesamt einer gewesen.
Eines Ihrer letzten Bücher war ein Buch über den Tod Ihrer Mutter…
Wieser: Peter Handke hat zu mir gesagt: „Du hast schon genug “Kleines” geschrieben, jetzt ist es Zeit, dass du was Großes schreibst.“ Meine Mutter ist 2015 gestorben. Aus Gesprächen mit ihr habe ich ein Büchlein für die Familie gemacht, wobei das Slowenische und das Deutsche in einander fließen. Irgendwann hat es Handke in die Hand bekommen und gesagt, das geht nicht, das kann nicht in der Schublade bleiben. Du musst ein Buch draus machen. Ich habe Corona und damit Zeit für zwei Bücher bekommen, eines auf Deutsch, eines auf Slowenisch: „Mit klarem Blick hingehen, an den Rand, oder die Erinnerung ist das einzige Paradies“. Ein schönes kleines Büchlein, das recht gut angekommen ist. Ich habe noch viel Notizen, aber dafür brauche ich mehr Zeit und Ruhe. Man kann ja auch einmal nur in die Luft schauen. Wie heißen die sieben Ziele im Leben? Lesen, Schreiben, Essen, Trinken, Reisen, Kochen und Lieben.