anzeiger 1/2023 – Eine imaginäre Welt aus Trümmern

Miljenko Jergović wurde letztes Jahr mit dem Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln ausgezeichnet. Literatur und Kunst bedeuten für ihn auch Zuflucht und Schutz vor der Welt.

Interview: Erich Klein

Miljenko Jergović, 1966 in Sarajevo geboren, ist ein bosnisch-herzegowinischer und kroatischer Schriftsteller, Dichter und Essayist, der vornehmlich in kroatischer Sprache schreibt. Neben journalistischer Arbeit begann Jergović Ende der 1980er-Jahre Gedichte zu schreiben. 1993 verließ er das damals von der jugoslawischen Volksarmee belagerte Sarajevo und lebt seither in der kroatischen Hauptstadt Zagreb. International bekannt wurde er mit der Kurzgeschichtensammlung „Sarajevo Marlboro“ (1996). Auf Deutsch erschienen bislang acht Romane – darunter die Auto-Trilogie „Buick Rivera“ (2006), „Freelander“ (2010) und „Wolga, Wolga“ (2011). Die bekanntesten sind die Bücher „Vater“ (2015), „Die unerhörte Geschichte meiner Familie“ (2017), „Ruth Tannenbaum“ (2019) und der zuletzt erschienene Roman „Der rote Jaguar“ (2021).

Miljenko Jergović erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen und Preise. Im November 2022 wurde er mit dem Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln ausgezeichnet. Begründung der Jury: „Miljenko Jergović scheut sich in seinen preisgekrönten Reportagen und Essays nicht, den Finger in die Wunden der europäischen Gesellschaft und Geschichte zu legen. In seiner Prosa widersetzt er sich bewusst allen politischen Einflüssen und lässt sich durch keine Form des Nationalismus vereinnahmen. Er widersteht damit auch allen Versuchen, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Miljenko Jergović ist ein streitbarer Humanist und ein präziser Chronist gesellschaftlicher Konfliktlinien. Er ist ein im besten Sinne europäischer Erzähler, der nicht müde wird, sich – ganz im Sinne dieses Preises – für Toleranz, Offenheit und Frieden einzusetzen.“

Herr Jergović, Ihr vielleicht wichtigster, jedenfalls umfangreichster Roman „Die unerhörte Geschichte meiner Familie“ beginnt mit einer Apologie der Schule: „Vater, zwei Onkel und ich haben dasselbe Sarajever Gymnasium besucht.“ War das Gymnasium Voraussetzung, um zum Autor zu werden?

Miljenko Jergović: Ich möchte natürlich niemand diskriminieren, aber mich hat das Gymnasium sicher mehr geprägt als jede Universität. Mein Philosophiestudium war sowieso eine verfehlte Angelegenheit. Was das Gymnasium in meinem Roman betrifft, so muss man wissen, dass es im Grunde aus der österreichischen Monarchie stammte. Mit dem Ideal der klassischen Bildung stellte es in den Zeiten des jugoslawischen Sozialismus eine Art Opposition zum System dar. Vor dem Zweiten Weltkrieg, in der Schulzeit meines Vaters und meiner Onkel, hieß es umgangssprachlich „Großes Gymnasium“ und offiziell „Erstes Knaben-Real-Gymnasium“, nach dem Krieg und der Abschaffung von Mädchen- und Knabenschulen schlicht „Erstes Gymnasium“. 1984, kurz vor meiner Matura, wurde es ein drittes Mal umbenannt und hieß fortan „Helden und Revolutionäre des Ersten Gymnasiums“. Während der Belagerung bekam es den alten Namen zurück, seither heißt es wieder „Erstes Gymnasium“.

Gavrilo Princip, der mit seinem Attentat auf den Thronfolger 1914 den Ersten Weltkrieg auslöste, hat auch in diesem Gymnasium die Schulbank gedrückt …

Jergović: Es war mir immer bewusst, dass ich im Klassenzimmer von Gavrilo Princip saß, nur ein neuer Anstrich war dazugekommen. Das Gymnasium als Institution brachte auch Monster hervor. Vermutlich ist es nicht übertrieben zu sagen, dass die meisten Monster aus einem Gymnasium kommen. Wir, die wir uns einbilden, keine Monster zu sein, sind nur Trittbrettfahrer in dieser Welt.

Sie tauchen mit Ihrer Familiengeschichte rasch zum Beginn des 20. Jahrhunderts in die k. u. k. Monarchie ab – besteht dabei Gefahr, dass Nostalgie aufkommt?

Jergović: Das Wort Monarchie hat heute einen komischen Klang. Ich empfinde gegenüber diesem Gesellschaftssystem nicht Nostalgie, sondern in Bezug auf diese Epoche. Abgesehen davon war Österreich-Ungarn in der Tat ein mögliches Modell für den Föderalismus in Europa – man hätte damit eine Welt der vielen Völker erhalten können. Ich kenne die Einwände dagegen, aber ist es um Minderheitenrechte in der EU tatsächlich besser bestellt als seinerzeit um die Rechte der Völker der Monarchie? Was mich noch fasziniert – dieser alte Kaiser hatte immerhin den Wunsch, die Sprachen der Monarchie zu beherrschen, auch wenn er es nicht wirklich tat. Kann man sich heute vorstellen, dass ein EU-Kommissionspräsident oder eine Präsidentin Tschechisch, Polnisch oder Kroatisch lernen möchte?

Seit 1989 gibt es eine kuriose Diskussion zwischen westlichen Linken, die gern vom „Völkergefängnis“ der Monarchie sprechen, und deren ostmitteleuropäischen Verehrern.

Jergović: Ich glaube, beide Seiten haben recht. Die Nostalgie gegenüber der k. u. k. Monarchie ist eine paradoxe Sache: Menschen unterschiedlichster Couleur haben der Monarchie nachgetrauert – auch Adolf Hitler gehörte dazu.

Aber noch mehr der Hitler-Gegner Joseph Roth!

Jergović: Es ist auch eine semantische Frage: Zum Beispiel war der Begriff „Völkergefängnis“ in unserem Kontext Ausdruck kommunistischer Pädagogik, das „Völkergefängnis“ wurde uns als die Wahrheit über Österreich-Ungarn eingeimpft. Mit dem Zerfall Jugoslawiens ist das verschwunden. Außerdem stellte sich die nicht ganz unwichtige Frage: Wie soll man das eigentlich bezeichnen, wie bei uns mit den verschiedenen Völkern umgegangen wurde?

Sie rollen in der „Unerhörten Geschichte“ das ganze südslawische 20. Jahrhundert in aller komplizierten Vielfalt noch einmal auf, gleichermaßen nostalgisch wie antinostalgisch. Wie viel Nostalgie für Jugoslawien gibt es heute?

Jergović: Das ist eine große Frage, zu deren Beantwortung man ein ganzes Buch schreiben könnte, und die Frage bliebe dennoch unbeantwortet. Was ist Nostalgie? Ein krankhaftes Gefühl der Sehnsucht nach einer Zeit, die es eigentlichen nicht gegeben hat. Das gilt auch für jegliche Jugoslawien-Nostalgie. Die Jugoslawien-Kriege der 1990er-Jahre waren dermaßen brutal und blutig, dass sie die Biografie eines jeden Menschen in dieser Region zweigeteilt haben. In das Leben vor und jenes nach dem Krieg – und die beiden haben kaum Ähnlichkeit miteinander. Insofern sind wir zweigeteilte, schizophrene Menschen. Ich persönlich empfinde keinerlei Nostalgie dem ehemaligen Jugoslawien gegenüber. Wenn ich nostalgisch bin, bezieht sich das auf die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, also auf eine Zeit, in der ich noch gar nicht gelebt habe.

Sie haben in Ihren Büchern praktisch alle Mitglieder Ihrer Familie abgehandelt …

Jergović: Die Geschichte meiner Familie ist ein riesiges Thema und in gewisser Weise nicht geringer oder kleiner als die Geschichte der ganzen Menschheit. Vermutlich könnte ich über die Welt, in der meine Eltern und Großeltern lebten, mein ganzes Leben lang schreiben, wobei die Figuren nicht immer der rein faktischen Wahrheit entsprechen. Fiktion spielt dabei immer auch eine Rolle.

Weil der Balkan ein so unklar definierter, vielfältiger Raum ist?

Jergović: Unter anderem. Das ist ein für mich sehr wichtiges Thema – es geht dabei um die Grenzen. Grenzen bestehen nicht nur zwischen Völkern und Kulturen. Der Balkan besteht aus Menschen, die an Grenzen leben, und diese Menschen tragen die Grenzen auch in sich. Zugleich leben sie auf beiden Seiten dieser Grenzen, auch wenn sie die jeweils andere Seite nicht mögen. Es gibt am Balkan keine „reinen“ Menschen, keine reinen Identitäten. Meine eigene Familie ist eine dieser unmöglichen Identität. Ich spreche zum Beispiel kein Deutsch, aber mein Urgroßvater war Donauschwabe aus dem Banat, der dann fast sein ganzes Leben lang in Bosnien lebte. Er war ein überzeugter Deutscher, und ein solcher Deutscher konnte er nur in Bosnien sein!

Daraus ist ein recht üppiger Familienroman geworden …

Jergović: Ich hatte mit Familienromanen immer ein Problem – ich mag, worüber geschrieben wird, bin aber mit dieser Form nicht sehr glücklich. Eine Familiengeschichte ist immer eine höchst unordentliche Angelegenheit. Ein Stammbaum sieht nie so aus wie ein blühender japanischer Kirschbaum. Im Gegenteil, er ist meist ziemlich merkwürdig: Da gibt es Äpfel und Birnen, Bananen und abgeschnittene Köpfe. So sieht eine Familie aus – meist ist es eine Ansammlung von Unglück. Eine Familie ist keine so gute Gemeinschaft, wie es in der katholischen Sonntagspredigt klingt, sie ist eher eine verbrecherische Organisation. Genau eine solche Geschichte wollte ich erzählen.

Sie leben mittlerweile länger in Zagreb als früher in Bosnien. Ist das Leben in Kroatien die Auszeit, um mit den früheren Schrecken fertig zu werden?

Jergović: Ich habe in keiner anderen Stadt so lange gelebt wie hier in Zagreb. Wenn ich selbst definieren müsste, was mir durch den Krieg widerfuhr und zugleich mein größter gesellschaftlicher Erfolg war, dann ist es Folgendes: Ich lebe in dieser Stadt heute als Fremder und werden von den anderen Menschen auch als solcher wahrgenommen. Das ist sehr gut! Einem Schriftsteller kann vermutlich nichts Besseres passieren. Nehmen wir das Beispiel Thomas Bernhard: Er hat alles getan, um in Salzburg nur ja als Fremder angesehen zu werden. Als er starb, war er vermutlich unglücklich darüber, dass er in Österreich nicht mehr als Fremder galt.

Der bosnische Historiker Ivan Lovrenović meinte einmal, für die Kultur Bosniens, die bis zum Krieg kaum jemand in der Welt kannte, hänge alles davon ab, wie sehr es gelänge, die Schrecken dieses Krieges in etwas Positives zu verwandeln. Sie selbst wurden mit Geschichten über die Belagerung von Sarajevo berühmt. Was hat der Krieg für Sie bedeutet?

Jergović: Man muss hier einen wichtigen Umstand ganz nüchtern und emotionslos festhalten: Ein Schriftsteller profitiert immer und überall von Tragödien. Am besten ist es, vom eigenen Unglück zu profitieren, aber dasselbe gilt auch für kollektives Unglück. Für einen Schriftsteller ist es viel schwieriger, mit Glück umzugehen und daraus etwas Gutes zu machen. Ich schrieb vor dem Krieg einen Roman über Greta Garbo, der nie veröffentlicht wurde – daran sehen Sie schon, was mich damals interessierte, und wie weit ich mich davon entfernt habe. Durch das Schreiben über den Krieg versuche ich einerseits eine stabile Lage für mich selbst zu erzeugen, andererseits erschaffe ich – wenn ich den Krieg in einen allgemeinen Zusammenhang stelle – aus den Trümmern eine imaginäre Welt.

In die penible Rekonstruktion Ihrer Familiengeschichte sind Figuren wie der Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić oder ein Imker, der ein Buch über die Bienenpest der 1930er-Jahre verfasst hat, verwoben. Irgendwann weiß man nicht mehr, was real und was fiktiv ist.

Jergović: Der Imker und sein Buch sind natürlich erfunden! Mir ging es in der „Unerhörten Geschichte“ um ein Spiel zwischen Wirklichkeit und Erfindung, zwischen Faktischem und Mystischem. Ich wollte genau das – der Leser soll nicht mehr entscheiden können, ob es sich um wirkliche Begebenheiten oder Fiktion handelt. Ich glaube, Bücher eines „reinen“ Genres sind für die heutige Zeit eigentlich zu trivial.

Diese Gefahr ist ohnehin nicht groß – Ihr Buch besteht aus vielen verschiedenen Genres: aus chronikartigen Erzählungen, Essays, ausgewachsenen Kurzromanen und anekdotenhafter Kurzprosa. Wann wussten Sie, dass das Buch fertig ist?

Jergović: Ich befürchte, darauf habe ich keine Antwort. Ich bin mir gar nicht so sicher, dass dieser Roman tatsächlich vollendet ist – zumindest habe ich ein sehr starkes Gefühl des Unvollendeten. Was dahinter steckt, ist mein persönliches Gefühl des Unvollendetseins, des Nichtabgerundetseins. Ich spürte beim Schreiben einerseits das starke Bedürfnis, etwas Komplettes und Ganzes zu schaffen, ich wollte einen großen Zusammenhang und eine wirklich große Form, aber das Buch ist andrerseits auch eine Art Lagerhaus. Wobei ich von diesem Lagerhaus wollte, dass es einigermaßen ordentlich aufgeräumt sein sollte.

Einen beträchtlichen Teil Ihres „Lagerhauses“ nehmen das faschistische Ustascha-Regime und die Nazis ein. Warum so viel Zweiter Weltkrieg?

Jergović: Mein ältester Onkel ist als SS-Soldat 1943 in Ostslawonien umgekommen. Das war dreiundzwanzig Jahre vor meiner Geburt. Dieser Umstand war im Leben meiner Familie ziemlich wichtig und hat auch mein eigenes Leben geprägt. Ich dachte früher immer, die Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg sei nur typisch für meine Familie, bis ich jüngst festgestellt habe, dass heute noch immer sehr viele Menschen in der Zeit dieses Krieges leben und an dessen Folgen laborieren. Außerdem gibt es gerade noch ein weiteres Moment, auf das man hier hinweisen könnte: Erinnern Sie sich an die alte Version des Deutschlandliedes „Deutschland, Deutschland über alles!“ – worin besteht der Unterschied zu „America first“? Ich will das jetzt nicht direkt vergleichen, aber hinter beiden Sprüchen stecken ähnliche Emotion und Ideologie. Ich denke, man sollte da sehr genau hinhören!

Die Geschichte der Stublers und Rejc, sogenannter normaler Leute, ist auch eine Auseinandersetzung mit den „Geistesmenschen“ des 20. Jahrhunderts. Wie sehen Sie die Rolle der Intellektuellen, die in Jugoslawien oft ziemlich fatal war?

Jergović: Für eine kurze Antwort ist diese Frage zu groß. Im letzten Jahrhundert waren es Intellektuelle, die ins Konzentrationslager gesteckt wurden, und es waren auch Intellektuelle, die sich Gründe ausdachten, warum Menschen ins KZ geschickt werden sollten. In manchen Fällen waren es allein die Umstände, warum sie sich gegenseitig umgebracht hatten. Sie hätten genauso gut miteinander leben können. Das 20. Jahrhundert war sehr stark durch die Figur des öffentlichen Intellektuellen geprägt, und noch in den 1960er-Jahren spielten die Intellektuellen zwischen West und Ost eine entscheidende Rolle. Der Westen setzte dabei oft auf Intellektuelle im Osten, die meist Schriftsteller waren – seit dem Fall der Berliner Mauer haben sie keine Bedeutung mehr.

Aber Sie schreiben doch selbst als Kolumnist in diversen Zeitungen!

Jergović: Was mich betrifft, so möchte ich mich lieber als Schriftsteller und Künstler sehen denn als Intellektuellen. Ich wüsste gar nicht, was ich heute in Kroatien als Intellektueller machen sollte. Literatur und Kunst sind mein Zuhause und mein Zufluchtsort, wo ich Schutz vor der wirklichen Welt finde.

Stellt das nicht eine Überforderung für Kunst und Kultur dar?

Jergović: Die Kunst kann alles, aber sie kann auch nichts. Das ist das Interessante an der Kunst. Wenn wir an Jugoslawien zurückdenken, dann kann man, was Kunst und Kultur betrifft, das Land mit dem Zeitalter des Perikles vergleichen. Man mag sich wundern, was hier im Unterschied zu andern Ostblockstaaten unter dieser liberalisierten Form des Einparteienstaates alles möglich war! Kunst und Kultur erlebten eine Blütezeit. Tito mochte zwar die abstrakte Kunst ganz und gar nicht, aber er war intelligent genug, sich in diese Dinge nicht einzumischen. Theater und Film erlebten einen unglaublichen Boom – wenn man Jugoslawien nur danach beurteilen würde, müsste man sagen, es war ein tolles Land. Aber Kunst und Kultur sind nicht die einzigen Maßstäbe, die hier anzulegen sind.

Ein großartiges Beispiel für jugoslawische Kunst, das Denkmal für die Opfer des KZ Jasenovac von Bogdan Bogdanović, kommt auch in Ihrem Roman vor. Eine Figur pilgert zu dieser Betonblume, um geläutert zu werden.

Jergović: Es ist tatsächlich eines der faszinierendsten Beispiele monumentaler Plastik und Architektur aus dem früheren Jugoslawien. Das Denkmal ist als Metapher großartig, wir haben es heute aber mit einem anderen Problem zu tun: Die jetzigen Machthaber versuchen gemeinsam mit der katholischen Kirche die Wahrheit darüber, was sich in diesem KZ abspielte, zu vertuschen. Man verharmlost es als Arbeitslager oder normales Gefangenenlager. Ich verstehe nicht, warum diese kroatische Sichtweise in Europa noch akzeptiert wird.

Wie schaut es im EU-Mitgliedsland Kroatien in Sachen Kunst und Kultur grundsätzlich aus?

Jergović: Heute sind in allen früheren jugoslawischen Ländern meist primitive und gewalttätige Oligarchen an der Regierung. Wir leben in einem Land, das derzeit nur 0,4 Prozent des Staatshaushaltes für Kultur aufwendet. Für einen Roman braucht man nicht viel Geld – man benötigt nur das, was man im eigenen Kopf hat. Erfreulich ist zumindest, dass es noch immer viele gibt, die schreiben können. Im Fall von Kino oder Theater ist das Ganze schon viel ­schwieriger.

Wenn man aus Österreich kommt, muss man die Frage nach Peter Handke und seinem proserbischen Engagement stellen. Ärgert Sie das noch immer?

Jergović: Der frühe Peter Handke war für meine Generation einer der wichtigsten Schriftsteller – später habe ich ihn nicht mehr gelesen. Sein Engagement im ehemaligen Jugoslawien war verhängnisvoll und tragisch, zugleich aber auch sehr bezeichnend. Handke wollte in Serbien und Ex-Jugoslawien den edlen Wilden finden. Einen edlen Wilden gibt es aber nicht. Es war merkwürdig, dass ein bedeutender Schriftsteller seiner eigenen Illusion so sehr auf den Leim ging. Irgendwie kann ich Handke sogar verstehen – seine Verwirrung hatte noble Gründe. Manchmal kommt es aber vor, dass noble Gründe einen Menschen direkt in die Hölle führen.

Verleihung Jergovic
(c) Sascha Osaka Europäische Literaturtage
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